Merkel informiert sich über Kleinkredit-Projekt in Indien

"Die größte Frauenbank der Welt"

Bundeskanzlerin Merkel setzt heute ihre Indien-Reise mit einem Besuch der Wirtschaft- und Finanzmetropole Mumbai, dem früheren Bombay fort. Zunächst besucht Merkel die Nabard-Bank, die Kleinstkredite im Agrarsektor vergibt. Die Bank ist im Rahmen der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit ein wichtiger Partner der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Eine Reportage von Agnes Tandler über die große Wirkung von kleinen Krediten.

Autor/in:
Agnes Tandler
 (DR)

Können 500 Rupien das Leben verändern? Kann die Summe von umgerechnet kaum zehn Euro der Weg aus der Armut sein? Vielleicht schon. Aruna hat früher als Landarbeiterin weniger als 20 Rupien am Tag verdient. Nun hat die 35-Jährige, die in einem Dorf 250 Kilometer von Bombay entfernt wohnt, einen kleinen Gemüsestand - und verdient fast 10 Euro am Tag. Ein Kleinkredit hat ihr das ermöglicht.

Nanuben in Ahmebadad verkauft Altkleider. Ihr erster Kredit bei der SEWA-Bank, die einer Frauenorganisation gehört, betrug 500 Rupien. Acht Jahre später hat die ungelernte Arbeiterin fast 10.000 Euro gespart: Erfolgsgeschichten, die zeigen, dass Kleinkredite helfen können, das Leben der Armen in Indien zu verändern. Denn der Subkontinent hat zwar ein dichtes Bankennetz; doch die Hunderte Millionen Menschen, die weniger als zwei Dollar am Tag verdienen, sind davon praktisch ausgeschlossen.

Rund 75 Millionen Haushalte, so wird geschätzt, sind auf private Geldverleiher angewiesen, die vielfach Wucherzinsen verlangen und ganze Familien in die finanzielle Abhängigkeit treiben.

Entwicklungsbanken wie die in Bombay ansässige NABARD (National Bank for Agriculture and Rural Development) sind daher eingesprungen, um kleine Handwerksbetriebe und die dörfliche Wirtschaft zu unterstützen. Auch die deutsche KfW-Bank fördert mit rund vier Millionen Euro ein Kleinkreditprogramm für arme Frauen im Bundesstaat Gujarat - in Zusammenarbeit mit NABARD und der SEWA-Bank. Bei ihrem Staatsbesuch in Indien will sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch in Bombay selbst ein Bild von dem Projekt machen.

Jayshree Vyas, Direktor der SEWA-Bank in Ahmedabad, der Wirtschaftsmetropole Gujarats, erklärt, wie es damals zu der Gründung kam: "Die Frauen wollten einen Platz haben, wo sie ihre Ersparnisse anlegen konnten." Heute habe SEWA eine Kapitaleinlage von umgerechnet rund 17,6 Millionen Euro, eingezahlt von etwa 250.000 Frauen: "Die größte Frauenbank der Welt".

"Mikrofinanzierung wird das Mantra der Zukunft bei der Armutsbekämpfung sein," ist Sheila Dikshit, Regierungschefin des Bundesstaates Delhi, überzeugt. Sie habe Frauen getroffen, bei denen 500 bis 800 Rupien den entscheidenden Unterschied machten - weil sich genau dadurch ihr Lebensstandard dramatisch verbessert habe.

Frauen gelten als ideale Partnerinnen für Mikrofinanz-Projekte.
Sie nutzen schon bescheidene Summen, um sich ein Geschäft aufzubauen. Sie gelten als zuverlässig und zahlen Kredite pünktlich zurück. Von ihren Einnahmen profitiert oft die ganze Familie. Doch die Kleinunternehmerinnen vom Lande stehen auch unter hohem Druck - weil sich Tradition und weibliche Selbstständigkeit in Indien vielfach immer noch ausschließen.

Bankchef Vyas berichtet von solchen Schwierigkeiten: "Frauen haben uns angefleht, ihnen keine Post oder Kontoauszüge zu schicken. Sie haben uns sogar gebeten, die Sparbücher zu behalten - aus Angst vor ihren Männern." Wenn diese von dem Geld erführen, würden sie ihre Frauen unter Druck setzen, es abzuheben, um es dann selbst zu vertrinken oder zu verspielen.

Kein Wunder also, dass nicht alle die Kleinkredite als Wundermittel sehen. "Wenn eine Frau einen Kredit bekommt und sich selbstständig macht, dann steigt ihre Arbeitsbelastung enorm, sagt etwa Neera Burra vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) in Neu Delhi. Mädchen würden aus der Schule genommen, um im Haushalt mitzuhelfen. "Wenn die Männer nicht einen Teil der Last tragen, werden die Frauen ein schweres Leben haben", so die UN-Mitarbeiterin. Viele nähmen einen Kredit nur auf, weil ihre Ehemänner es verlangten: "Dann gehen sie, und die Frauen müssen die Schulden abarbeiten."