Theologe: Kirchliches Gemeindekonzept ist gescheitert

Leitbild der "Pfarrfamilie" veraltet?

Die katholische Kirche folgt nach Meinung des Grazer Theologen Rainer Bucher bei ihren Strukturreformen einer widersprüchlichen und pathetischen Vorstellung von Gemeinde. Viele sähen in der Pfarrei so etwas wie eine "schicksalhaft verbundene Großfamilie" in der anonymen Gesellschaft, kritisierte er am Dienstag in Schwerte. Dieses Leitbild einer "Pfarrfamilie" stamme aus den 1960er Jahren und müsse entmythologisiert werden.

 (DR)

Bucher äußerte sich beim Jahreskongress der deutschsprachigen Pastoraltheologen in der Katholischen Akademie Schwerte. Die Theologie habe mit dem Konzept eine Modernisierung angestrebt, doch es berge viele unauflösliche Widersprüche in sich, so der Wissenschaftler. Das Scheitern dieses historischen Experiments werde aber ignoriert. Einerseits sollten sich Priester und Laien "gleichstufig begegnen". Zugleich hätten Geistliche aber nach wie vor ein "undiskutierbares Leitungsmonopol". Widersprüchlich sei es auch, auf die freiwillige Zugehörigkeit der Gläubigen zu setzen und sie gleichzeitig durch das Wohnortprinzip auf eine Pfarrei festzulegen.

"Freiheit des Einzelnen anerkennen"
Als Beleg für das Scheitern des Konzepts könnten viele Zahlen herhalten, betonte der Pastoraltheologe. Seit den 1950er Jahren habe die Anzahl der Kirchgänger um 70 Prozent abgenommen. Ein Viertel der Katholiken pflege noch regelmäßig Kontakt zu einer Gemeinde, die Hälfte von ihnen nutze kirchliche Angebote wie Taufe, Hochzeit oder Beerdigung. Ein Viertel wolle potenziell austreten. Die Antwort darauf müsse eine "rückhaltlose und freudige Anerkennung der realen religiösen Freiheit des Einzelnen sein", so Bucher.

In welcher sozialen Form sich das gestalten lasse, könne man von anderen kirchlichen Bereichen lernen, sagte der Theologe. So stünden der Religionsunterricht, die Seelsorge für Jugendliche, Kranke oder Alte und die diakonische Arbeit schon immer "unter dem heilsamen Druck", das Evangelium "in nicht-selbstverständlicher Umgebung zu präsentieren". Sie seien daher nicht so schnell der "Fiktion von Selbstverständlichkeit"
verfallen. Es komme künftig darauf an, solche erfolgreichen pastoralen Orte, auch in Gemeinden, miteinander zu vernetzen.

Das Thema des Jahreskongresses lautete "Plurale Wirklichkeit Gemeinde". Hintergrund sind Gemeindereformen in fast allen der 27 deutschen Diözesen. Die Bischöfe sind seit einigen Jahren dabei, Pfarrgemeinden wegen sinkender Katholiken- und Priesterzahlen sowie rückgängiger Finanzen zu größeren Einheiten zusammenzufassen.