SPD will Schulstruktur in NRW umkrempeln

Gemeinschaftsschulen für NRW?

Die SPD will das Schulsystem in Nordrhein-Westfalen umkrempeln, sollte sie die nächste Landtagswahl im Jahr 2010 gewinnen. Das dreigliedrige Schulsystem soll dann durch eine Gemeinschaftsschule ersetzt werden. Das beschloss die SPD am Samstag auf ihrem Bildungsparteitag in Bochum. "Unser Konzept sichert die beste Bildung für alle", sagte die SPD-Landesvorsitzende Hannelore Kraft. Ausnahmen soll es nicht geben. „Es wird keine erzbischöflichen Gymnasien mehr geben.“, so Kraft in Bochum. CDU und FDP attackierten die Beschlüsse als ideologisch und falsch.

 (DR)

Im Zentrum des SPD-Plans steht die Gemeinschaftsschule, bei der alle Schüler bis zur sechsten Klasse unter einem Dach lernen sollen. Die Schulen sollen sogar die Möglichkeit bekommen, ihre Schüler bis zur zehnten Klasse gemeinsam zu unterrichten. Die von der schwarz-gelben Landesregierung eingeführten Gebühren für das Erststudium will die SPD wieder abschaffen. Weitere Kernpunkte des Leitantrags sind ein Recht auf Betreuung ab dem ersten Lebensjahr sowie eine Initiative für Ausbildungsplätze in der beruflichen Bildung.

Schule der Freiheit
Die Zeit sei reif für einen Neuanfang in der Schulpolitik, sagte Kraft. Die Gemeinschaftsschule sei besser als alle anderen Modelle und grenze niemanden aus. Sogar bis zur zehnten Klasse sollen alle Schüler "unter einem Dach lernen" dürfen. Talente und Fähigkeiten der Schüler würden damit besser gefördert. Die Gemeinschaftsschule sei die "Schule der Freiheit", sagte Kraft. Die Kritik von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), mit der Gemeinschaftsschule drohten "zehn Jahre Chaos", sei "Quatsch".

Vizekanzler und Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) unterstützte den Leitantrag. "Die Sozialdemokratie ist im 19. Jahrhundert gegründet worden, um Bildung für breite Schichten zu ermöglichen", sagte er. In NRW habe die SPD in den 60er und 70er Jahren die Hochschulen für Arbeiterkinder geöffnet.

"Ewig-gestrige Ideologie"
Scharfe Kritik an den SPD-Beschlüssen kam von der Landesregierung. Die Sozialdemokraten hätten sich "von einer pragmatischen Bildungspolitik verabschiedet", sagte FDP-Generalsekretär Christian Lindner. CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst warf den Sozialdemokraten eine "ewig-gestrige Ideologie" vor. Mit der CDU werde es "keine Experimente auf dem Rücken der Kinder geben.

SPD-Chefin Hannelore Kraft plane die "Zerstörung des Schulsystems".  In ihrer 39-jährigen Regierungsära habe die SPD in Nordrhein-Westfalen dafür gesorgt, dass "nirgendwo sonst die Bildungschancen so sehr von der sozialen Herkunft abhängig waren", sagte Wüst.
Der Begriff der Gemeinschaftsschule könne nur kaschieren, worum es wirklich gehe, nämlich um die "Durchsetzung der alten Einheitsschule", sagte der CDU-Politiker.

Lob erhielten die Sozialdemokraten dagegen von den Grünen. "Mit dem Beschluss vollzieht die SPD den richtigen Einstieg in die notwendige Schulstrukturdebatte in NRW", sagte Grünen-Landeschefin Daniela Schneckenburger. Die kleinere Oppositionspartei begrüßte, "dass inzwischen in der SPD der Mut vorhanden ist, die richtigen Schlüsse aus PISA zu ziehen". Im Gegensatz zu CDU und FDP habe die SPD erkannt, dass strukturelle Veränderungen notwendig seien, so Schneckenburger. Wer einen "Schulkrieg" heraufbeschwöre, wie es die Regierungsparteien täten, schade den Kindern.

Bildungsforscher: Schulstruktur zweitrangig
Der Dortmunder Bildungsforscher Wilfried Bos hat den parteipolitischen Streit um die Schulstruktur in Nordrhein-Westfalen kritisiert. Für die Kompetenzentwicklung der Kinder sei die Frage der Schulstruktur zweitrangig, sagte der Leiter des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der Universität Dortmund der Nachrichtenagentur ddp.
Seit Jahren sei bekannt, dass die "Hauptprobleme des deutschen Schulwesens in der Qualität des Unterrichts insbesondere in der Sekundarstufe I zu finden sind", betonte Bos. "Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten" sei die Schulstrukturdebatte deshalb "verwunderlich". Bos ist unter anderem auch Deutschland-Chef der internationalen Grundschulstudie Iglu zur Lesekompetenz von Grundschülern.