amnesty verteidigt neuen Kurs zur Abtreibung gegen Vatikan-Kritik

Ein Streit und viele Gemeinsamkeiten?

amnesty international hat einen neuen Kurs in der Frage von Abtreibung und Frauenrechten beschlossen und gegen Kritik aus dem Vatikan verteidigt - und auf die Gemeinsamkeiten in vielen Fragen verwiesen. - Kardinal-Staatsekretär Tarcisio Bertone hatte zuletzt die Forderung von amnesty, vergewaltigten Frauen eine straffreie und sichere Abtreibung zu ermöglichen, scharf kritisiert.

 (DR)

"Überwältigende Mehrheit"
amnesty äußere sich nicht grundsätzlich zum Richtig oder Falsch von Abtreibung und unterstütze auch nicht ein allgemeines "Recht auf Abtreibung", heißt es in einer am Dienstagabend in London veröffentlichten Erklärung. Es gehe vielmehr um eine Entkriminalisierung von Frauen, die sich in schweren Notlagen zu einer Abtreibung entschlössen.

Die Internationale Ratstagung der Menschenrechtsorganisation in Mexiko-Stadt sprach sich laut Mitteilung der ai-Zentrale mit "überwältigender Mehrheit" dafür aus, Abtreibungen von jeder Strafe freizustellen. Schwangere müssten etwa nach Vergewaltigung, Inzest und bei Lebensgefahr ein "Recht auf Abtreibung" haben. Darüber hinaus forderte das höchste ai-Gremium einen freien Zugang von Frauen zu medizinischen Leistungen nach Abtreibungen.

Die Organisation habe diese Position in einem zweijährigen Konsultationsprozess breit diskutiert, betonte die ai-Zentrale.
Die nun beschlossene Politik zu Frauenrechten und Abtreibung stimme mit den internationalen Menschenrechtsvereinbarungen überein.

Gemeinsamkeiten und Meinungsverschiedenheiten
Zur jüngsten Kritik von Kardinal-Staatsekretär Tarcisio Bertone und anderen hohen Vatikan-Vertretern erklärt amnesty, man gestehe dem Vatikan das volle Recht auf seine Position in der Abtreibungsfrage zu. Gleichzeitig betont die Organisation die vielen Gemeinsamkeiten von ai und katholischer Kirche bei zentralen Menschenrechtsfragen, etwa dem Kampf gegen Folter und Todesstrafe oder der Freilassung von Häftlingen aus Gewissensgründen. Allerdings könne amnesty Todesurteile oder Inhaftierung von Frauen, die abgetrieben haben, sowie unterlassene Hilfeleistungen durch Verweigerung medizinischer Versorgung nicht hinnehmen.

Die Nummer zwei des Vatikan sowie Kurienkardinal Renato Martino hatten zuletzt die Forderung von amnesty, vergewaltigten Frauen eine straffreie und sichere Abtreibung zu ermöglichen, scharf kritisiert. "Man darf nicht das Leben als solches auslöschen, auch wenn es eine Frucht von Gewalt ist", so Bertone in einem Interview. Ungeborene seien "Personen, menschliche Subjekte mit all ihrer Menschenwürde".

Martino, der Präsident des päpstlichen Menschenrechts-Rates "Iustitia et Pax" ist, kritisierte die Position der Menschenrechtsorganisation als doppelbödig; sie häufe "Gewalt auf andere Gewalt". Katholiken müssten ai beim Vollzug eines solchen Kurswechsels den Rücken kehren. Der katholische Bischof von East Anglia, Michael Evans, hatte zu Wochenbeginn mit Bedauern angekündigt, nach 31 Jahren seine Mitgliedschaft in der Organisation aufzugeben.

"Recht auf Abtreibung" diskutiert
Die internationale ai-Bewegung verfolgte bislang eine neutrale Position im Streit um die Bewertung von Abtreibungen. Allerdings hatten sich einzelne Gruppierungen und nationale Sektionen wie die kanadische in den vergangenen Monaten für ein "Recht auf Abtreibung" ausgesprochen.

An der ai-Ratstagung in Mexiko-Stadt, die am Montag (Ortszeit) zu Ende ging, nahmen nach Angaben der amnesty-Zentrale mehr als 400 Delegierte aus rund 75 Ländern teil. Sie stünden für viele Nationalitäten, Ethnien, Altersstufen, Religionen und Kulturen, so die Veranstalter.

Als Beispiele für eine krasse Verletzung von Frauenrechten führt die Organisation etwa Todesurteile gegen Frauen in Nigeria nach Abtreibungen an. Dem seien Prozesse vorangegangen, die internationalen Menschenrechtsstandards nicht standhielten. Auch in anderen Staaten würden Frauen nach Schwangerschaftabbrüchen verfolgt und inhaftiert. Gerade in Konfliktregionen erhielten Frauen bei Schwangerschaften nach Vergewaltigung vielfach keine medizinische Versorgung, sondern würden noch zusätzlich durch gesellschaftliche Ächtung gestraft.