Kurt Beck kritisiert Linke - Diskussion um Birthler-Behörde

"DDR-Verbrechen nicht vergessen"

Zum Tag des Mauerbaus gedachten Berliner Politiker aller Parteien auch der Maueropfer. Vermutlich 700 Menschen sind bis 1989 an der Grenze ums Leben gekommen.
Unterdessen geht die Diskussion um das Dokument zum Schießbefehl auf DDR-Flüchtlinge weiter. Frieder Weiße von der "Vereinigung der Opfer des Stalinismus" im domradio: "Die DDR-Verbrechen müssen aktenkundig gemacht werden"

 (DR)

Weiße: "Menschen dürfen später nicht sagen: 'Es ist doch gar nichts passiert.' So wie es Leute gab, die den Holocaust oder andere Verbrechen geleugnet haben. Die DDR-Verbrechen müssen für die Nachwelt staatsanwaltschaftlich festgehalten werden."

Zum Jahrestag des Mauerbaus hat der SPD-Vorsitzende Kurt Beck die Linkspartei wegen der mangelnden Aufarbeitung ihrer SED-Vergangenheit kritisiert. "Jede politische Kraft muss klar Stellung beziehen. Ganz besonders gilt das natürlich für die PDS und die heutige Linkspartei", sagte Beck der "Bild"- Zeitung (Dienstagausgabe). "Die Linkspartei geht mit diesem dunklen Kapitel immer noch nicht so um, wie es sein müsste." Das sei einer der Gründe, weshalb die Linkspartei für die SPD als Koalitionspartner im Bund und in den westdeutschen Bundesländern nicht in Frage komme.

Aber auch an die Adresse der ursprünglich westdeutschen Parteien richtete Beck die Aufforderung, die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit nicht ruhen zu lassen. Beck sagte: "Natürlich muss jeder von uns bereit sein, damalige falsche Eindrücke gerade zu rücken - zum Beispiel, was die vermeintliche Wirtschaftskraft der DDR anging."

"Zeugnis von großer Brutalität"
"Zögern Sie nicht mit der Anwendung der Schusswaffe, auch dann nicht, wenn die Grenzdurchbrüche mit Frauen und Kindern erfolgen, was sich die Verräter schon oft zunutze gemacht haben", heißt es in einer Anweisung an DDR-Grenzschützer, die die Birthler-Behörde zum Jahrestag des Mauerbaus veröffentlicht hatte.
Das in Magdeburg gefundene Dokument forderte Mitglieder einer an der Grenze eingesetzten Stasi-Spezialtruppe dazu auf, bei Fluchtversuchen unverzüglich zu schießen, auch auf Frauen und Kinder.

Das Dokument war allerdings 1997 schon einmal in einem Forschungsband zur Fahnenflucht veröffentlicht worden. Die Diskussion um die Umstände der Veröffentlichung sollte die inhaltliche Auseinandersetzung nicht überschatten, sagte die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler am Montag. "Das Dokument ist deshalb so wichtig, weil der Schießbefehl von den damals politisch Verantwortlichen nach wie vor bestritten wird."

SED-Forscher kritisiert "Bürokrate-Forschung"
"Dass Frau Birthler jetzt, wo es um die Existenz der Behörde geht, diesen angeblich neuen Fund präsentiert, um die Kompetenz der Behörde zu belegen, ist verständlich, ging aber nach hinten los, weil nicht einmal die Arbeit der eigenen Forscher bekannt ist", sagte SED-Forscher Klaus Schroeder der "Frankfurter Rundschau" (Dienstagausgabe). Für die Wissenschaft wäre es besser, wenn die Stasi-Akten in absehbarer Zeit dem Bundesarchiv übergeben würden und damit Forschern frei zugänglich wären.

Die Aufregung vom Wochenende über den Schießbefehl habe ihn fassungslos gemacht, betonte Schroeder. "Es war doch alles bekannt geworden bei den Prozessen um die Mauerschützen. Da wurden Fälle dokumentiert, wie etwa 16-Jährigen in den Rücken geschossen wurde, als sie in den Westen schwimmen wollten", sagte der Wissenschaftler.

Stasi-Akten ins Bundesarchiv
Der sächsische Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Michael Beleites, bewertete den Fehler der Birthler-Behörde bei der Einschätzung eines Stasi-Schießbefehls als Beleg für Versäumnisse bei der Erschließung des Stasi-Aktenbestandes. "Wenn man ein solches Grundsatzdokument schon einmal gefunden hat, dann muss gesichert sein, dass es jederzeit wieder auffindbar ist, um es mit neuen Aktenfunden zu vergleichen", sagte Beleites der "Berliner Zeitung" (Dienstagausgabe). Weil das in der Birthler-Behörde offenbar nicht klappe, sei eine engere Kooperation mit dem Bundesarchiv und anderen staatlichen Archiven bei der Aktenerschließung notwendig.

Beleites befürwortete eine Übergabe der Stasi-Akten an das Bundesarchiv und die Landesarchive in naher Zukunft. "Wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, also etwa die Bearbeitung persönlicher Akteneinsichtsanträge gewährleistet ist und das Bundesarchivgesetz so verändert wurde, dass es den besonderen Charakter der Stasi-Akten berücksichtigt, dann muss man nicht mehr ewig warten", sagte Beleites.

Auch der Historiker Bernd Faulenbach sprach sich für eine Umlagerung der Stasi-Akten ins Bundesarchiv "in einer überschaubaren Zeitspanne" aus. Aus seiner Sicht würde eine Bündelung aller zeitgeschichtlichen DDR-Akten und damit auch der Stasi-Unterlagen im Bundesarchiv eine wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit SED- und DDR-Geschichte erleichtern.

Gerichtsverfahren gegen "Mauerschützen"
An der innerdeutschen Grenze sind wahrscheinlich bis 1989 mindestens 700 Menschen getötet worden, allein an der 1961 errichteten Berliner Mauer waren es mindestens 133. Nach Angaben der "Volksstimme" gelang darüberhinaus insgesamt mehr als 2.800 DDR-Soldaten die Flucht, in den Jahren 1971 bis 1974 seien es 144 gewesen.

Nach der deutschen Vereinigung waren unter anderem wegen der Tötung von Flüchtlingen an der innerdeutschen Grenze zahllose Gerichtsverfahren gegen "Mauerschützen" sowie führende Repräsentanten des DDR-Regimes eingeleitet worden. Nur in wenigen Fällen führten sie jedoch zur Verurteilung, da es bislang insbesondere aus der Zeit vor Inkrafttreten des "Grenzgesetzes" von 1982 keine eindeutigen schriftlichen Beweise für den Schießbefehl gab.