Gefängnis-Seelsorger Achim Halfmann im domradio: Pädagogische Begleitung statt Wegschliessen

Mehr Stacheldraht, weniger Sozialarbeiter

Mit einem Geständnis hat am Mittwoch vor dem Landgericht Bonn der Prozess gegen die drei mutmaßlichen Mörder eines 20-jährigen Häftlings in der Justizvollzugsanstalt Siegburg begonnen. Die Tat hatte eine politische Debatte über Gewalt in Gefängnissen ausgelöst.
Im domradio-Interview spricht der Kölner Seelsorger Achim Halfmann über die Notwendigkeit der pädagogischen Begleitung für inhaftierte Jugendliche. Sein Appell an die Landesregierung: Mehr Investitionen in die Sozialarbeit.

 (DR)

Zwei Mal in der Woche fahren sie 142 Kilometer, um zwei Stunden zuzuhören. "Wir sind ein Ventil für die Wut, die Angst und die Sorgen der Jugendlichen im Knast", sagt Achim Halfmann, Geschäftsführer der Gefährdetenhilfe Scheideweg in Hückeswagen bei Köln. Schon seit 1972 begeben sich die ehrenamtlichen Mitarbeiter der evangelischen Gefängnisseelsorge jede Woche hinter die hohen Gefängnismauern der Siegburger Justizvollzugsanstalt. Viele Jugendliche saßen hier, bevor sie bei der Gefährdetenhilfe Wohnung, Arbeit und ein neues Leben fanden.

Die Tötung eines 20-jährigen Häftlings in Siegburg, über die seit Mittwoch vor dem Bonner Landgericht verhandelt wird, hat den Verein erschüttert, aber nicht verwundert. "Alle, die sich in Gefängnissen engagieren, wissen, dass unter den Inhaftierten Gewalt herrscht und auch Sexualdelikte vorkommen", betont Halfmann. Allerdings habe er die Situation in Siegburg nicht drastischer erlebt als in den anderen 16 Gefängnissen, die die Gefährdetenhilfe mit insgesamt 300 Ehrenamtlichen regelmäßig in Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern besucht.

Der Siegburger Fall sei ein Abbild der Realität und nicht nur ein Einzelfall, sagt  Halfmann. „Das, was in Siegburg passiert ist, passiert dort, wo Jugendliche, die aus kriminellen Szenen kommen zusammen gefercht werden und nicht ausreichend begleitet werden", so Halfmann.

Der Verein setzt große Hoffnungen in ein neues Jugendstrafvollzugsgesetz, das die Düsseldorfer Landesregierung auf den Weg gebracht hat.

Der Gesetzentwurf sieht die Schaffung von 750 neuen Haftplätzen vor, eine Einzelunterbringung der jugendlichen Straftäter, mehr Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten sowie Sport- und Freizeitprogramme am Abend und an den Wochenenden.

"Es wäre ein großer Fortschritt, wenn diese Punkte tatsächlich in der Praxis umgesetzt werden", sagt Halfmann. In den vergangenen Jahren sei die Kontaktgruppenarbeit des Vereins immer schwieriger geworden, denn das Wachpersonal habe die Jugendlichen oft schon vor sechs Uhr abends weggeschlossen. "Viele verbringen sogar das ganze Wochenende auf ihren Zellen." Dabei sei eine pädagogische Freizeitgestaltung und die Begegnung mit Menschen außerhalb des Gefängnisses für die Resozialisierung der Jugendlichen enorm wichtig.

„Mit Menschen von außerhalb ein Stück Freizeit zu gestalten und mit ihnen im Gespräch zu sein ist ein ganz wichtiges Ventil um ein Stück Entlastung zu finden", erklärt Halfmann.

Auch die Möglichkeit, Schulabschlüsse nachzuholen und Ausbildungen zu machen, wird laut Halfmann in den Jugendgefängnissen viel zu selten genutzt. Nur 37 Prozent der jugendlichen Häftlinge in NRW besitzen einen Hauptschulabschluss. Weniger als ein Prozent kann eine Berufsausbildung nachweisen. Die Rückfallquote entlassener Jugendlicher in NRW liegt laut einer Studie zufolge bei 74 Prozent.

"Das Randgruppendasein ist zu einer Lebensperspektive geworden", beobachtet Halfmann. "Ich erlebe die Jugendlichen zunehmend hoffnungslos." Die Entstehung einer neuen geschlossenen Jugendstrafvollzugsanstalt in Wuppertal begrüßt Halfmann - auch, wenn dafür die Siegburger Einrichtung geschlossen werden soll. Die Landesregierung plant für rund 70 Millionen Euro einen Neubau mit 500 Plätzen, in dem es Ausbildungsbetriebe, Unterrichtsräume, Werkstätten, Sporteinrichtungen und überwiegend Einzelzellen in Wohngruppen geben soll. Allerdings seien für den Sozialen Dienst nur zehn Stellen vorgesehen, kritisieren die Grünen.

Auch der Wuppertaler Gefängnisseelsorger Jönk Schnitzius stellt fest, dass sich die Personalsituation in den Haftanstalten seit dem Siegburger Mord kaum verändert hat. "Die Situation ist dramatisch, aber der Notstand wird festgeschrieben." Schon seit fast zwei Jahren kämpft der Pfarrer für die Besetzung der zweiten vakanten evangelischen Seelsorgerstelle. Er selbst ist mit einer 0,75-Stelle für die Betreuung von 550 Gefangenen sowie für die Schulung und Koordinierung der ehrenamtlichen Kontaktgruppen zuständig, darunter die Gefährdetenhilfe Scheideweg.

Das Justizministerium hat zwar eine zweite Stelle zugesagt, aber, so Schnitzius, "es folgen keine Taten." Die Landesregierung investiere lieber in Sicherheitsstandards als in die dringend notwendige Sozialarbeit, kritisiert der Seelsorger. "Dabei schaffen Beziehungen die höchste Sicherheit, nicht der Stacheldraht. Wir dürfen nicht dem Irrtum verfallen, dass wir allein mit Sicherheitsmaßnahmen die Situation verbessern können."
(Sabine Damaschke/epd)