Politiker fordern "Hartz IV"-Erhöhung wegen teurer Lebensmittel - Bauernpräsident rechnet mit generellen Teuerungen

Anpassung nötig?

Angesichts der erwarteten Preissteigerungen bei Lebensmitteln fordern Politiker von SPD, Grünen und Linken eine Erhöhung der "Hartz IV"-Sozialleistungen. Der SPD-Sozialexperte Ottmar Schreiner sagte, "Hartz IV" sei nicht mehr existenzsichernd, weil es keinen Anpassungsmechanismus gebe, der sich an den Lebenshaltungskosten orientiert. Auch der Grünen-Sozialexperte Markus Kurth fordert eine Erhöhung. Bauernpräsident Gerd Sonnleitner geht davon aus, dass Lebensmittelpreise generell anziehen werden.

 (DR)

"Wenn jetzt die Lebensmittelpreise überproportional steigen, verringert sich der reale Wert von 'Hartz IV' stark", erläuterte Schreiner. Deswegen müssten die "Hartz IV"-Sätze erhöht werden. Der Grünen-Sozialexperte Markus Kurth sagte der Zeitung: "Preissteigerungen von bis zu 50 Prozent zeigen deutlich, dass der 'Hartz IV'-Regelsatz erhöht werden muss." Die deutsche Milchindustrie hat für August drastische Preiserhöhungen bei Milch und Milchprodukten angekündigt.

Der stellvertretende Vorsitzende der Links-Fraktion, Klaus Ernst, forderte, "über die verfehlte Konstruktion von Hartz IV nachzudenken und über die dringend gebotene Erhöhung des Regelsatzes". Der Hartz-IV-Regelsatz werde auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) alle fünf Jahre erhoben. Die Basis des jetzigen Regelsatzes sei das Jahr 2003.

Alle Preissteigerungen der letzten vier Jahre und die Anhebung der Mehrwertsteuer würden im Regelsatz nicht erfasst. Die Empfänger von "Hartz IV" erhielten eine Grundsicherung, "die nicht den realen alltäglichen Bedarf deckt, sondern Armut per Gesetz ist". Wer die aktuellen Preissteigerungen allein zum Anlass nehme, die Erhöhung der Grundsicherung zu fordern, müsse sich allerdings den Vorwurf des Populismus gefallen lassen. "Hartz IV" müsse insgesamt überwunden werden. Es sollten sofort alle Preissteigerungen der vergangenen vier Jahre in die Regelsatzbemessung aufgenommen werden.
Sonnleitner rechnet mit generell steigenden Lebensmittelpreisen
Bauernpräsident Gerd Sonnleitner geht davon aus, dass Lebensmittelpreise generell anziehen werden. "Der Verbraucher muss sich daran gewöhnen, dass Nahrungsmittel teurer werden", sagte Sonnleitner der "Passauer Neuen Presse". Der Anstieg sei jedoch zu verkraften, weil auch die Löhne stiegen.

Sonnleitner wies darauf hin, in den vergangenen 20, 30 Jahren sind Nahrungsmittel im Verhältnis zu den Löhnen immer billiger geworden seien. "Im Durchschnitt gibt eine deutsche Familie heute nur noch zwölf Prozent ihres Einkommens für Ernährung aus nach dem Krieg waren es über 50 Prozent", sagte er. Neben den Milchbauern müssten auch die Erzeuger von Rind und Schweinefleisch mehr für ihre Ware bekommen, um kostendeckend produzieren zu können und wettbewerbsfähig zu bleiben.

Bei Milchprodukten geht Sonnleitner davon aus, dass die Endpreise für manche Produkte deutlich, für andere kaum oder gar nicht erhöht werden. "Butter wurde zuletzt wie ein Lockangebot verschleudert, hier rechne ich mit Preiserhöhungen zwischen 10 und 40 Prozent", sagte er.

Die Nachfrage aufstrebender Länder wie China und Indien
Laut Rheinisch-Westfälischem Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) müssen sich die Verbraucher an die hohen Lebensmittelpreise gewöhnen. Denn nicht allein zeitlich begrenzte Faktoren wie Tierseuchen und Missernten seien diesmal für die Preissteigerungen verantwortlich. "Die Nachfrage aufstrebender Länder wie China und Indien sowie der Boom bei Biokraftstoffen treiben die Preise vieler Rohstoffe nach oben", sagte der RWI-Konjunkturexperte Torsten Schmidt der Zeitung. "Das bekommen jetzt auch die deutschen Verbraucher zu spüren."

Bereits am Freitag hatte das zweitgrößte deutsche milchverarbeitende Unternehmen, die Humana Milchunion, Preiserhöhungen für Milch und Milchprodukte angekündigt. Voraussichtlich werde das Päckchen Butter um etwa 40 Cent teurer, geschnittener Käse um bis zu 50 Cent je Packung, teilte das Unternehmen im nordrhein-westfälischen Everswinkel mit. Damit werde der Butterpreis wieder auf dem Niveau von 1989 liegen. Auch bei Joghurt und Quark sei mit Preiserhöhungen zu rechnen.

Dürreperioden in Australien und Ozeanien
Als Grund für die Preiserhöhungen nannte das Unternehmen ebenfalls die zunehmende Rohstoffknappheit auf dem Weltmarkt. Dürreperioden in Australien und Ozeanien hätten zu einem nennenswerten Rückgang der dortigen Milchproduktion geführt. Hinzu kämen die gestiegene Nachfrage aus Asien und ein Rückgang der Milchproduktion zugunsten der Bioenergiegewinnung in Deutschland.

Der Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), Gerd Sonnleitner, sagte der "Wirtschaftswoche", die hohen Preise auf dem Agrarmarkt gefährdeten den Ausbau der Bioenergie. "Biogasanlagen rechnen sich bei einem Weizenpreis bis zu 120 Euro die Tonne. Wegen der weltweit niedrigen Ernten bringt die Tonne jetzt 180 Euro, damit lohnt sich eher der Verkauf auf dem Weltmarkt", fügte Sonnleitner hinzu. Darüber hinaus werde der Milchpreis kräftig anziehen. "Wenn es so bleibt, werden die Landwirte künftig mehr für den Lebensmittelmarkt produzieren und weniger in nachwachsende Rohstoffe investieren", sagte der DBV-Präsident.