Experten warnen vor Druck auf türkische Justiz im Fall Marco W.

Keine Einmischung erwünscht

Experten warnen im Fall des wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch in der Türkei inhaftierten deutschen Schülers Marco W. vor überzogener Kritik an der Justiz des Landes. Der deutsch-türkische Reiseunternehmer und SPD-Europaabgeordnete Vural Öger kritisierte am Mittwoch das Verhalten deutscher Spitzenpolitiker. Die Türkeiexpertin am Freiburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Silvia Tellenbach, sagte, das Vorgehen gegen den Schüler stelle keine Schlechterstellung eines ausländischen Jugendlichen dar. Die "Bild"-Zeitung zitierte aus der Aussage des 13-jährigen britischen Mädchens, dessen Mutter Anzeige gegen den Marco W. erstattet hatte.

 (DR)

Marco W. war während eines Osterurlaubs mit seinen Eltern in dem Touristenort Side verhaftet worden, nachdem es in der Nacht zum 11. April in einem Hotelzimmer zwischen ihm und der 13-Jährigen zu intimen Zärtlichkeiten gekommen sein soll. Die Mutter des Mädchens erstattete gegen ihn Anzeige wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Der Schüler aus dem niedersächsischen Uelzen spricht von einem Urlaubsflirt und beteuert, das Mädchen habe erklärt, sie sei bereits 15 Jahre alt. W. sitzt seit April in türkischer Haft.

Öger sagte: "So wie Unions-Fraktionschef Volker Kauder und andere Politiker über die Türkei herziehen, das ist diffamierend." Auch Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) wolle sich mit seinem Appell nur in Szene setzen. "Ich warne dringend: Zu viel Druck auf die Justiz kann dazu führen, dass der Richter eine verhärtete Haltung einnimmt", sagte Öger. Stattdessen sei Sachlichkeit geboten. "Wenn man den Fall entpolitisiert, kann ich mir vorstellen, dass es bei der Gerichtsverhandlung am 6. Juli zu einem milden Urteil kommt, mit dem man leben kann", sagte Öger. Er glaube, es liege auch im Interesse der türkischen Justiz, den Fall so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Tellenbach zeigte Verständnis für die Inhaftierung des Schülers. "Die Vorschriften mögen für unseren Geschmack zu scharf sein. Aber in der Türkei will man damit auch die 13- oder 14-jährigen Mädchen schützen, die in Dörfern noch in illegale Ehen gezwungen werden", sagte die Türkeiexpertin. Das Hauptproblem an dem Fall scheine zu sein, dass die Mutter des Mädchens zur Polizei gelaufen sei, anstatt den Jungen zur Rede zu stellen. "Wenn so ein Fall mal beim Richter ist, wird eine Maschinerie in Gang gesetzt, die nur schwer zu stoppen ist", sagte Tellenbach. Wenn der Richter allerdings zu der Überzeugung komme, dass der Junge wirklich nicht gewusst habe, dass das Mädchen erst 13 Jahre alt ist, werde er ihn nicht wegen Kindesmissbrauchs bestrafen.

Der "Bild"-Zeitung zufolge hat die 13-jährige Charlotte aus Manchester bei ihrer Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft in Antalya erklärt, sie habe Marco W. am Tag der Tat in der Disco getroffen und sich dort mit ihm gestritten. Später sei sie mit ihrer Schwester und einer Freundin in ihrem Zimmer gewesen, als Marco W. mit einem Freund aufgetaucht sei, um sich bei ihr zu entschuldigen. Sie hätten auf dem Bett gesessen und sich unterhalten. Marco W.s Freund und ihre Schwester seien auf den Balkon gegangen. Sie selbst, Marco W. und ihre Freundin seien im Zimmer geblieben. W. habe sich in ihr Bett gelegt und geschlafen. Sie habe sich neben ihn schlafen gelegt. Dann sei sie plötzlich wach geworden, habe Marco W. auf sich gefühlt und ihn weggestoßen. Dabei habe sie eine Feuchtigkeit auf ihrem Körper gespürt. Danach sei sie zum Arzt gegangen.