Instabile Arbeitsverhältnisse bei privaten Zustellerdiensten

Prekäre Arbeitssituation

Wenn Jürgen Schwann an seinen letzten Job denkt, graust es ihn noch immer. Der 40-jährige Berliner arbeitete bis Januar als Fahrradkurier für die Firma Jurex mail Berlin. Formal hatte der gelernte Bäcker einen 15-Wochenstunden-Vertrag und bekam pro ausgetragenen Brief 12 Cent Lohn. Tatsächlich fuhr der Arbeitslosengeld-II Empfänger oft 60 Stunden pro Woche durch die Stadt und legte dabei täglich 40 bis 60 Kilometer zurück. Trotzdem habe er am Monatsende kaum mehr als 500 Euro verdient. "Schwachsinn", so Schwann.

 (DR)

Keine existenzsichernden Löhne
Immer mehr Briefträger in Deutschland werden nach "Stücklohn" bezahlt. Das bedeutet: Bleibt die Post aus, gibt es auch keinen Lohn. "Vor allem bei kleinen Firmen ist das die Regel", berichtet Schwann aus Erfahrung. Seit der Teilöffnung des Postmonopols in Deutschland 1998 können auch private Firmen Briefe befördern und verteilen. Rund 1.000 Unternehmen hat die Bundesnetzagentur bis heute eine Lizenz erteilt.

Die Arbeitsbedingungen bei den so genannten neuen Briefdienstleistern sind oft prekär: Es dominieren "Beschäftigungsformen, die durch ein hohes Maß an Unsicherheit, Instabilität und Abhängigkeit charakterisiert sind", so das Fazit einer von der Gewerkschaft ver.di in Auftrag gegebenen Studie. Der durchschnittliche Stundenlohn bei der Post-AG-Konkurrenz liege bei 5,90 Euro in Ost- und sieben Euro in Westdeutschland. Solche Löhne seien "nicht existenzsichernd". Das zeige sich auch daran, so die Autoren der Untersuchung, dass viele Zusteller selbst bei einem Vollzeitjob Anspruch auf ergänzendes Arbeitslosengeld II hätten.

Die Rolle der Netzagentur
Die Bundesnetzagentur kommt zu einem anderen Ergebnis: Das durchschnittliche Lohnniveau liege nicht nur bei der Deutschen Post AG, "sondern auch bei deren Subunternehmern und Wettbewerbern über dem von den Gewerkschaften geforderten branchenübergreifenden Mindestlohn von 7,50 Euro", so eine Studie, die die Behörde jüngst präsentierte. Die Löhne bei der Post seien "branchenunüblich hoch". Denn: "Der Briefsektor ist in weiten Teilen ein Niedriglohnsektor." Zwar gebe es regionale Lohnunterschiede. Doch, so Netzagentur-Präsident Matthias Kurth: "Es gibt bislang keinen Grund zum Eingreifen."

Genau das fordert ver.di: "Die Bundesregierung muss gegen die rechtswidrige Lizensierungspraxis der Bundesnetzagentur einschreiten", so Andrea Kocsis, Mitglied des Bundesvorstands. Die von der Behörde vorgelegte Studie basiere auf den Daten von nur 38 Unternehmen und sei nicht aussagekräftig. Die Bundesnetzagentur erklärte dazu auf Anfrage, die Behörde werde bis Ende des Jahres alle Briefdienstleister angeschrieben und deren Lohnpraxis hinterfragt haben. Zahle ein Unternehmen nicht den ortsüblichen Lohn, "gehen wir dem dann nach", so Sprecherin Renate Hichert. Bislang gebe es aber keine entsprechenden Hinweise.

Aktuell arbeiten bei den neuen Briefdienstleistern rund 45.000 Menschen, in der Mehrzahl als Mini-Jobber. Gleichzeitig hat die Post AG seit 1999 rund 33.500 Vollzeit-Arbeitsplätze abgebaut. Gehe der Bund nicht gegen die Billig-Konkurrenz vor, so Post-Chef Klaus Zumwinkel, drohe der Verlust von bis zu 32.000 weiteren Jobs.