Kardinal Lehmann kritisiert deutsche Wirtschaft

"Verfall der guten Sitten"

Kardinal Karl Lehmann hat einen "Verfall guter Sitten in der Wirtschaft" angeprangert. Konkret nannte er den Hartz-Skandal bei Volkswagen, die Schmiergelder bei Siemens und "die teils sehr bedenklichen Strukturen in der Bauindustrie". Auf grüne Gentechnik angesprochen zeigte sich Lehmann durchaus wirtschaftsfreundlich.

 (DR)

"Heutzutage geht es ruppiger zu"
All das erzeuge Misstrauen und schade "dem Ansehen, das Unternehmer verdienen", sagte Lehmann in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz unterstrich, auch von Unternehmern höre er, "dass es heutzutage ruppiger zugeht, dass sich eine neue Rücksichtslosigkeit ausbreitet".

Beängstigend sei, dass der ständige Blick auf die Börse ein Wirtschaften erschwere, das auf Kontinuität ziele. Ethische Voraussetzungen, die lange als Basis für das Gelingen des Wettbewerbs angesehen worden seien, würden heute von vielen als nicht mehr "zeitgemäß" betrachtet. Die Menschen verstünden nicht, wenn Vorstandsvorsitzende am selben Tag Milliardengewinne und zugleich Stellenstreichungen verkündeten.

Lehmann vertrat die Auffassung, dass "Abstriche nötig sind, um wieder Tritt zu fassen" - unter einer Bedingung: Es müsse im Betrieb eine grundlegende Solidarität vorhanden sein. Wenn die Mitarbeiter Einbußen erlitten, könnten "nicht die Vorstandsgehälter in den Himmel wachsen". Arbeitnehmer dürften nicht die Fehlentscheidungen von Managern ausbaden, "die über Jahre immenses Geld vernichten, ohne dass sie jemand stoppt oder zur Rechenschaft zieht". Dies sei auch eine Frage an die Qualität der Aufsichtsräte.

Lehmann: Kein Veto gegen Gentechnik in der Landwirtschaft
Auf grüne Gentechnik angesprochen meinte Lehmann, er wolle "kein generelles Veto" dagegen aussprechen. "Ich möchte da keine fundamentalistische Sperre ansetzen", sagte Lehmann in der "Frankfurten Allgemeinen Sonntagszeitung". Grüne Gentechnik bezeichnet die Anwendung gentechnischer Verfahren in der Landwirtschaft und bei der Produktion von Lebensmitteln.

Wenn sich mit neuen Technologien die Ernten um ein Fünftel steigern ließen, "könnte es gewiss ein Segen werden", unterstrich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Nötig sei jedoch eine kritische Aufmerksamkeit, wobei sich Wirtschaft und Ethik "nicht auseinandertrennen lassen" dürften.

Nach dem Schöpfungsauftrag solle der Mensch die Welt bewahren und bebauen, fügte Lehmann hinzu. "Bebauen heißt auch verändern, heißt gestalten, heißt züchten." Hier sei es nicht leicht, eine Grenze zu ziehen. Sie verlaufe spätestens dort, wo man die Art verlasse und etwa Tiere mit Menschen kreuze. "Das wäre das Schlimmste", so Lehmann.