Türkei: Sorge um die Sicherheit der Christen bleibt

Gottesdienst unter Polizeischutz

Rund zwei Wochen nach der Ermordung christlicher Mitarbeiter eines Bibelverlages leben Christen in der Türkei unter verschärften Sicherheitsmaßnahmen. "Die türkisch-protestantischen Gemeinden sind zur Zeit sicherlich akut gefährdet, weil sie offenkundig die neue Zielscheibe sind", sagte der deutsche evangelische Pfarrer in Istanbul, Holger Nollmann, am Freitag dem epd.

 (DR)

Polizei zeigt mehr Präsenz
Im osttürkischen Malatya waren Mitte April drei Mitarbeiter eines Bibel-Verlags ermordet worden. Wenig später wurden mehrere Verdächtige festgenommen, die nationalistische und religiöse Gründe als Motive der Tat angaben.

Viele Gemeinden würden seit den Anschlägen von der Polizei stärker geschützt, sagte Nollmann. Einige würden auch eigene Sicherheitsmaßnahmen treffen. Auch die Gottesdienste der deutschsprachigen Gemeinde in Istanbul stünden unter Polizeischutz, berichtete der westfälische Pfarrer, der die 200 Mitglieder zählende Gemeinde seit 2002 betreut. "Es gibt das Bewusstsein bei der Polizei, dass man Präsenz zeigen muss", sagte der 42-jährige Theologe. Wie lange das sein werde, lasse sich noch nicht absehen.

Die Mehrheit der Türken habe "keine manifesten Feindseligkeiten" gegenüber christlichen Minderheiten, betonte Nollmann. "Aber die Ressentiments stecken so tief im Kollektivgedächtnis dieses Landes, dass man sie sehr schnell hervorholen kann." Sobald die Lage instabiler werde, könne man damit breite Bevölkerungsteile mobilisieren. "Darin steckt natürlich eine Gefahr", warnte der Pfarrer.

Tiefe Staats- und Identitätskrise
Die gescheiterte Staatspräsidenten-Wahl und die Massendemonstrationen gegen eine befürchtete Islamisierung des Landes zeigen nach Auffassung Nollmanns eine tiefe Staats- und Identitätskrise. Damit hänge zusammen, dass eine kleine christliche Mission, zu der die ermordeten Christen gehörten, als Gefahr gesehen werde.

Das Land stehe vor einem Scheideweg zwischen einer toleranten Gesellschaft, die ethnische und religiöse Vielfalt zulasse, und einem türkischen Nationalismus. Nollmann warb deshalb auch dafür, die Verhandlungen für einen EU-Beitritt fortzusetzen: "Die Gespräche stärken die liberalen Kräfte in der Türkei."