Der Außenminister über den Papst und die Rolle der Religionen

"Er kann für den Glauben begeistern"

Papst Benedikt XVI. hat nach Einschätzung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) als theologische und moralische Instanz "weltweit Gültigkeit und Vorbildcharakter". Der Papst, der am Montag 80 Jahre alt wird, könne für den Glauben begeistern, sagte Steinmeier am Donnerstag in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. Zugleich äußerte er sich zum Thema Religion und Gewalt.

 (DR)

KNA: Herr Außenminister, welche Auswirkungen hat es für den deutschen Chef-Diplomaten, dass in Papst Benedikt XVI. ein Deutscher Oberhaupt eines anderen Staates ist?

Steinmeier: Dies ist in der Tat eine außergewöhnliche Konstellation mit Papst Benedikt XVI. an der Spitze des Heiligen Stuhls. Sie intensiviert unsere exzellenten Beziehungen zum Vatikan noch einmal mehr. Ein Papst aus dem Land der Reformation, der das Zweite Vatikanische Konzil beratend begleitet hat, der über Jahrzehnte als Hochschullehrer wie als leitender Geistlicher tätig war, kennt Deutschland, die Mentalitäten der Menschen und unsere komplexe Geschichte besonders gut. Zu seinem 80. Geburtstag und zum Jahrestag seines Pontifikats wünsche ich ihm viel Kraft und Gesundheit und Gottes Segen.

KNA: Werden Sie in dienstlichem Kontext auf den Papst aus Deutschland angesprochen?

Steinmeier: In der Tat häufiger, als ich dies gedacht habe. Papst Benedikt XVI. beeindruckt viele Menschen ungeachtet ihrer Konfession oder ihrer Religion. Er kann für den Glauben begeistern. Er genießt hohen Respekt wegen seiner Loyalität zu seinem Vorgänger Johannes Paul II., wegen seiner theologischen Strahlkraft und seiner großen persönlichen Bescheidenheit.

KNA: Persönlich gefragt: Was bedeutet "Papst" für den Protestanten Steinmeier?

Steinmeier: Einiges: Das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, eine theologische wie moralische Instanz, die nicht nur für die Katholiken weltweit Gültigkeit und Vorbildcharakter hat. Ein einzigartiges Amt, das Verantwortung trägt für das Miteinander der Religionen und von dem ich persönlich hoffe, dass der Weg der Ökumene mit Leidenschaft weiterbeschritten wird.

KNA: Wie haben Sie im September 2006 die so bekannt gewordene Regensburger Rede des Papstes wahrgenommen und die dann folgende Debatte empfunden?

Steinmeier: Die Reaktionen auf die Rede von Papst Benedikt XVI.
habe ich sehr aufmerksam verfolgt. Er hat etwas thematisiert, was ihn seit Jahrzehnten intensiv beschäftigt, nämlich das Verhältnis von Glauben und Vernunft. Dies ist angesichts der heftigen Reaktionen auf das Zitat des byzantinischen Kaisers aus dem 14. Jahrhundert leider in den Hintergrund getreten. Meines Erachtens zu Unrecht, denn Glauben und logos sind eine alle Weltreligionen zentral berührende Frage. Die heftigen Reaktionen deute ich daher als Indiz für einen großen Diskussionsbedarf. Auch weist der offene Brief der 38 islamischen Gelehrten an den Papst in diese Richtung, in dem der Wunsch Benedikts XVI. nach ernsthaftem Dialog ausdrücklich geteilt wird.

KNA: Kann der Dialog der Weltreligionen - in welcher Form auch immer - spürbare Auswirkungen gegen die diversen Fundamentalismen haben?

Steinmeier: Unbedingt ja. Ich bin überzeugt, dass es auf einen ernsthaften und nüchternen Dialog zwischen den Religionen, insbesondere zwischen Christen, Muslimen und Juden ankommt. Religion ist für die Identität vieler Menschen zentral. Sie kann jedoch instrumentalisiert werden, wie wir wissen. Deshalb sind Begegnung und Dialog, der von Respekt getragen ist und schwierige Fragen nicht ausspart, der richtige Weg. Ich denke zum Beispiel an die beeindruckende Reise von Papst Benedikt XVI. in die Türkei im vergangenen Herbst. Wichtig ist, dass sich der Dialog in den Ortsgemeinden fortsetzt, dass er im Alltag ankommt. Politik kann hierbei Foren der Begegnung schaffen, den Dialog müssen aber die Religionen selber führen.

KNA: Welche Rolle hat der Vatikan, der Heilige Stuhl als globaler Akteur in einer Zeit wachsender Bedeutung des Religiösen zwischen Fundamentalismus und Globalisierung?

Steinmeier: Der Heilige Stuhl ist ein 'global player' und selbst mitgestaltend in der Globalisierung. Die Kirche ist kontinenteüberspannend vernetzt, nahe bei den Menschen, in Seelsorge, Bildung, Gesundheitsversorgung und in der Entwicklungszusammenarbeit. Sie führt Menschen zusammen aus der Kraft des Glaubens und bleibt dabei doch offen für die Welt, für das Neue. Papst Benedikt XVI. selbst beschreibt dies als unverzichtbaren Teil des christlichen Zeugnisses. Besonders eindrucksvoll ist dies auf den Weltjugendtagen zu spüren; 2005 in Köln war so ein besonderer Moment, 2008 in Sydney wird es sicherlich erneut werden.

KNA: Wie bewerten Sie die Präsenz der Christen im Nahen Osten?

Steinmeier: Der Nahe Osten und das Heilige Land sind die Wiege des Christentums. Aber nicht nur das Christentum - auch die beiden anderen großen monotheistischen Religionen Judentum und Islam - haben hier ihren Ursprung. Das birgt Konfliktstoff - und ich weiß um die alles andere als einfache Lage, in der sich eine Reihe von christlichen Gemeinden im Nahen Osten befinden. Es birgt aber auch Chancen der Verständigung, denn: Wir alle haben die gleichen Wurzeln. Ich kann nur noch einmal meine Überzeugung wiederholen, dass es eines ernsthaften Dialogs zwischen den Religionen bedarf. Den Christen im Nahen Osten - aber etwa auch den Muslimen Europas - kommt hierbei eine Brückenfunktion zu.

KNA: Jenseits der Fundamentalismusdebatten: Wie wichtig ist die Rolle des Papstes oder das diplomatische Engagement des Vatikan mit Blick auf China und Lateinamerika?

Steinmeier: Wir begleiten die Bemühungen des Heiligen Stuhls um eine Normalisierung der Beziehungen zu China mit Achtung und Sympathie. Im Zuge ihrer Entwicklung zu einer weltweit in jeder Beziehung geachteten Macht würde die Einräumung völliger Religionsfreiheit China erheblich vorwärts bringen.

Die Lage in Lateinamerika ist davon völlig verschieden. Dort ist der Katholizismus die stärkste Religion, die eine treibende Kraft der Entwicklung für die lateinamerikanischen Länder darstellt.

KNA: Während der vergangenen Wochen meldete sich der Vatikan deutlich zu Wort angesichts des Verzichts auf eine Erwähnung des christlich-jüdischen Erbes in der Berliner Erklärung, wie bereits zuvor beim europäischen Verfassungsentwurf. Sollte sich der Vatikan als Nicht-EU-Mitglied nicht besser ganz aus solchen Dingen heraushalten?

Steinmeier: Ich meine nein, und die Gläubigen hätten dafür wohl auch kein Verständnis. Der Vatikan hat sich seit Jahrzehnten intensiv um die europäische Integration gekümmert. Johannes Paul II. stand persönlich ein für die glückliche Überwindung der Spaltung des Kontinents, die mit dem Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten zur Europäischen Union ihren Abschluss gefunden hat. Es ist daher nur selbstverständlich, dass der Heilige Stuhl intensiv Anteil nimmt, wenn die Europäische Union nach ihrer Form für eine Verfasstheit der Zukunft sucht. Mit Deutlichkeit an die Wurzeln der europäischen Geistesgeschichte zu erinnern, ist daher legitim, ja hilfreich. Sie wissen, dass die Bundesregierung sich in punkto Verfassungsvertrag eine klarere Formulierung in der Präambel gewünscht hat. Aber hierüber gibt es zwischen den 27 Mitgliedstaaten keinen Konsens. Die historischen Erfahrungen und Verfassungstraditionen scheinen unüberbrückbar unterschiedlich. Dennoch, lassen Sie mich das ganz klar sagen, an der Werteorientierung der EU, die das jüdisch-christliche Erbe in sich trägt, kann keinerlei Zweifel bestehen. Hierfür werden wir uns auch in Zukunft entschieden einsetzen.