Kritische Bundeswehroffiziere: Coesfeld ist kein Einzelfall

"Vorzeigekompanie des Bataillons" auf Abwegen

Die kritische Soldatenvereinigung "Darmstädter Signal" bezeichnet die Gewalt gegen Rekruten in der Freiherr-vom-Stein-Kaserne in Coesfeld als keinen Einzelfall. Der seit Montag laufende Prozess gegen noch aktive oder ehemalige Ausbilder der Bundeswehr vor dem Landgericht Münster zeige vielmehr ein strukturelles Problem der Streitkräfte auf, sagte der Sprecher der Vereinigung, Oberstleutnant a.D. Helmuth Prieß, am Dienstag im Deutschlandfunk. "Es werden in der Regel nur die schlimmsten Vorfälle bekannt", fügte er hinzu. Prieß verwies auf die Vorkommnisse in Bundeswehrkasernen in Hammelburg, Zweibrücken oder Detmold.

 (DR)

Der Sprecher des Darmstädter Signals beklagte in diesem Zusammenhang den "unseligen Korpsgeist innerhalb der Bundeswehr". Dies führe dazu, dass Soldaten solche "Vorgänge, Rüpelhaftigkeiten und Befehle, die nicht dienstlichen Zwecken dienen", nicht meldeten. Den Wehrpflichtigen müsse deshalb schon bei der Einstellung Mut gemacht werden, ihre Rechte wahrzunehmen. Die Vorgesetzten ihrerseits müssten bei ihrer Rechtsausbildung stärker darauf hingewiesen werden, dass sie sich an "bestimmte Pflichten strikt zu halten haben".

Angeklagte bestreiten Vorwurf der Quälerei
Die Affäre um die Misshandlung junger Wehrpflichtiger der Freiherr-vom-Stein-Kaserne in Coesfeld erlebt seit Montag sein juristisches Nachspiel. Vor dem Landgericht Münster begann der Prozess gegen 18 ehemalige oder noch aktive Soldaten der Bundeswehr, die als Ausbilder im Sommer 2004 mehr als 160 Rekruten des in Coesfeld stationierten Instandsetzungsbataillons in einer inszenierten Geiselnahme gequält und misshandelt haben sollen. Für den Prozess sind 45 Verhandlungstage bis Dezember vorgesehen.

Der Prozessauftakt fand unter großem Medien- und Publikumsinteresse statt. In dem Saal wurde es eng, da jeder der Angeklagten im Alter von 25 bis 34 Jahren jeweils zwei Verteidiger verpflichtet hatte. Staatsanwalt Michael Frericks wirft den Angeklagten vor, eine nicht für den Grundwehrdienst vorgesehene Ausbildungseinheit - die fingierte Geiselnahme - angesetzt zu haben. Die Rekruten seien auf Nachtmärschen überfallen und dann in eine Sandgrube beziehungsweise in den Keller der Kaserne gebracht worden.

Dort mussten sich die Gefangenen hinknien und eine Vernehmung erdulden. Dabei wurde ihnen nach Erkenntnissen der Ankläger mit einer Kübelspritze Wasser in die Hose oder den Mund gespritzt. Zudem sollen die Ausbilder die jungen Soldaten verhöhnt, geschlagen und getreten haben. In anderen Fällen sollen die Angeklagten mit einem Feldsprecher Stromstöße abgegeben und damit Rekruten gepeinigt haben.

Der damalige Kompaniechef, der 34-jährige Ingo S., räumte ein, zumindest im ersten Fall die Geiselnahme und das Verhör durch seine Mitarbeiter genehmigt zu haben. Die beiden damaligen Zugführer, Martin D. und Michael. H., seien Ende Mai 2004 mit der Idee zu ihm gekommen, im Rahmen der Ausbildung eine Geiselnahme zu simulieren.

Dies sollte den veränderten Bedingungen bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr Rechnung tragen und zugleich ein "Höhepunkt" der Ausbildung sein. Er habe die Zustimmung dazu erteilt, weil er die beiden Zugführer als verlässliche Mitarbeiter kennen gelernt habe. "Ich ging davon, dass nichts Dramatisches passieren wird", sagte der Angeklagte aus.

In dem "Gefangenenlager" in einer Sandgrube habe er sich dann über den Verlauf der Übung vom 9. Juni informiert, betonte Ingo S. Dabei habe er keine Übergriffe seiner Mitarbeiter bemerkt. Vielmehr habe er "hochmotivierte Soldaten" gesehen, von denen sich einige von der Übung und der Geiselnahme begeistert gezeigt hätten. Beschwerden über angebliche Misshandlungen seien ihm nicht bekannt geworden.

Der angeklagte ehemalige Zugführer Martin D. bezeichnete seine damalige Kompanie als "Vorzeigekompanie des Bataillons". Er habe seinen Soldaten eine "erlebnisorientierte und innovative Ausbildung" bieten wollen. Oberstes Gebot sei gewesen, dass kein Mensch verletzt wird. Zudem seien alle Rekruten darüber informiert worden, dass sie mit einem Codewort ("Tiffy" oder "Stopp") das Verhör sofort hätten abbrechen können. Bei den Übungen habe er keine Übergriffe bemerkt. Auch von Seiten der Rekruten sei keine Kritik laut geworden.

Der Fall war nach Angaben eines Militärsprechers damals durch Zufall ans Tageslicht gekommen. So habe ein Soldat nach seiner Versetzung einem Vorgesetzten "beim Kaffee trinken" von der Geschichte erzählt. Der Vorgesetzte habe dann die Ermittlungen eingeleitet. Von den betroffenen Rekruten habe sich keiner offiziell beschwert, hieß es damals.

Wehrbeauftragte: Deutsche Soldaten arbeiten unter skandalösen Bedingungen
Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe (SPD), hat die Arbeitsbedingungen der deutschen Soldaten als "skandalös" kritisiert. Die Bundeswehr-Angehörigen müssten in den alten Bundesländern in Unterkünften leben, "die ich als untragbar und teilweise sogar skandalös bezeichnen muss", sagte Robbe am Dienstag bei der Vorstellung seines Jahresberichts in Berlin. Insgesamt gab es dem Bericht zufolge im vergangenen Jahr 5918 Beschwerden von Bundeswehrsoldaten und damit etwas mehr als in 2005.

Robbe bezeichnete den Zustand der Kasernen im Westen als "desolat". So habe er bei einem unangemeldeten Truppenbesuch Schimmelbefall in Kellern und Stuben, einsturzgefährdete Decken sowie Sanitärräume vorgefunden, "die man nur in Gummistiefeln betreten kann".

Robbe monierte zudem, der viel zitierte "Frust in der Truppe" resultiere daraus, dass schon seit vielen Jahren bestehende Mängel nach Auffassung der Soldaten nicht oder nicht ausreichend zur Kenntnis genommen würden. Stattdessen würden die Probleme schöngeredet.