Vatikanhistoriker: Antisemitismusvorwurf gegen Bischöfe absurd - Jad Vaschem-Direktor unterstellt "Geschichtslegasthenie"

Gefährdet aktuelle Aufregung Christlich-Jüdischen Dialog?

Israelische Vorwürfe des Antisemitismus gegen katholische Bischöfe hat der vatikanische Chef-Historiker Walter Brandmüller als "geradezu absurd" zurückgewiesen. Er verteidigte damit mehrere Bischöfe, die sich während eines Israelbesuchs betroffen über die Situation der Palästinenser gezeigt hatten. Der Autor und Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Köln, Günter B. Ginzel, ruft im domradio zur Besonnenheit auf, die Aussagen der Bischöfe seien durch "emotionale Überforderung" entstanden, die Reaktion des Zentralrats aber "überbordend".

 (DR)

"Man kann doch nicht in Jad Vaschem erschüttert sein und dann über das Elend, das man in Ramallah vor Augen hat, einfach zur Tagesordnung hinweg gehen", so Brandmüller. Zugleich mahnte er, den Streit zwischen Kirche und jüdischen Spitzenvertretern zu beruhigen. "Man täte gut daran, das gelassen hinzunehmen und es möglichst rasch zu vergessen", so der Historiker.

Ginzel: Bischöfe hatten "Verstand nicht beieinander"
Auch der Kölner Autor Günther B. Ginzel, Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, ruft zur Besonnenheit auf. Er bewertet die Aussagen der Bischöfe, gerade was den Begriff "Ghetto" angeht, zwar als "nicht begreifbare, nicht akzeptable Entgleisungen", führt sie aber auf "emotionale Überforderung" zurück. Die Bischöfe hätten unter dem Eindruck der Umstände "den Verstand nicht beieinander" gehabt und ihre Kritik durch "das Überbordende" entwertet. Die Kritik des Zentralrats hält er zwar für berechtigt, nicht aber die "Art und Weise". Der Zentralrat müsse "lernen", vielleicht auch einmal "Therapeuten in Anspruch" nehmen, da die harte Kritik eine unnötige Belastung des eigentlich guten Verhältnisses zwischen Zentralrat und katholischer Kirche und des Dialogs darstelle.

Auch Gerster will mehr Sachlichkeit im Streit um Bischofsäußerungen
Im Streit um Äußerungen deutscher Bischöfe während ihres Heilig-Land-Besuchs hat die Deutsch-Israelische Gesellschaft zu mehr Sachlichkeit aufgerufen. Die gegen Israel erhobenen Rassismusvorwürfe seien ebenso unhaltbar wie die Antisemitismusvorwürfe jüdischer Organisationen gegen die Bischöfe, erklärte der Präsident der Gesellschaft, Johannes Gerster, am Mittwoch in Berlin.

Er warnte, die Auseinandersetzung vergifte das Klima zwischen Juden und Katholiken in Deutschland unnötig und erschwere eine sachliche Auseinandersetzung über den Nahostkonflikt und seine Ursachen. Nach Einschätzung Gersters hat sich die Bischofskonferenz während ihrer Reise eindeutig und klar zu Israel bekannt und eine Infragestellung dieses Staates ebenso wie den Terror gegen Israel abgelehnt. Zudem hätten die Bischöfe ihre zu Recht kritisierten Vergleiche korrigiert und klargestellt. Das müsse akzeptiert werden. Gerster vertrat von 1997 bis 2006 die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem.

Direktor von Jad Vaschem fordert Klarstellung
Der Direktor der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vaschem in Jerusalem, Avner Schalev, forderte am Mittwoch von der Deutschen Bischofskonferenz eine "Klarstellung". Schalev kritisierte, den Bischöfen sei klar gewesen, dass Juden aus dem Warschauer Ghetto in Konzentrationslager abtransportiert wurden. Er fügte hinzu: "Ich glaube nicht, dass der Vergleich aus Unkenntnis heraus gemacht wurde." Nach Joffes Ansicht haben die Bischöfe angedeutet, "dass Palästinensern das Gleiche drohen könnte wie Juden in Europa während der Nazi-Zeit". Dies zeuge von "Geschichtslegasthenie".

Kritik kam auch vom SPD-Außenexperten Gert Weisskirchen und dem Vorsitzenden der Berliner Jüdischen Gemeinde, Gideon Joffe. Weisskirchen betonte, Hanke und Mixa verwechselten "Ursache und Wirkung". Er sei "traurig, dass Bischöfe nicht in der Lage sind zu erkennen, warum Israel sich gezwungen sieht, eine Mauer zu bauen, um dafür zu sorgen, dass der Terror nicht ungehindert nach Israel hineingetragen wird".

Unterstützung bekamen Hanke und Mixa von der Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden Heinz Galinski, Evelyn Hecht-Galinski. Es sei deren "Pflicht" gewesen, die Zustände in Ramallah anzuprangern. Sie nannte es "empörend", den Bischöfen Antisemitismus vorzuwerfen.