Wie deutsche Familienpolitik ein hoch emotionales Thema wurde

Es geht ums Selbstverständnis der Union

Für Bundeskanzler Gerhard Schröder war sie noch "Gedöns", das zu vernachlässigen war. Doch spätestens seit Ursula von der Leyen Bundesfamilienministerin wurde, ist die Familienpolitik in Deutschland zur hoch emotionalen Angelegenheit geworden.

 (DR)

Nagelprobe um das Selbstverständnis der Union
Dabei verläuft der Riss nicht zwischen den Regierungsparteien SPD und Union. Schließlich hatten sich beide schon im Koalitionsvertrag auf einen Ausbau der Kinderbetreuung festgelegt. Der Streit um Elterngeld und Kinderbetreuung ist zur Nagelprobe um das Selbstverständnis der Union geworden. Und er wird mittlerweile ähnlich heftig ausgetragen wie der Konflikt, der in der SPD wegen der Agenda 2010 ausgebrochen waren.

Auseinandersetzungen um das Familienbild der Union schwelten schon seit den 80er Jahren - seit Heiner Geißler und Rita Süssmuth. Seit jedoch von der Leyen das Elterngeld durchsetzte und deutlich mehr Krippenplätze für Kinder unter drei Jahren verlangt, ist ein Gewitter über der Partei mit dem "C" im Namen niedergegangen.

Dabei geht es weniger um Finanzen und Strukturen, sondern um viel
mehr: um die Rolle des Staates, um die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, soziale Gerechtigkeit und letztlich auch ein Stück DDR-Vergangenheitsbewältigung. Die Parteiführung hat sich in den letzten Tagen mehrheitlich hinter die Ministerin gestellt, zumal der Union erstmals wieder hohe Kompetenzwerte in der Familienpolitik attestiert werden und von der Leyen neue Wählerschichten bei jungen Frauen, Alleinerziehenden und in Großstädten erschließen konnte.

Auf dem konservativen Flügel rumort es
Doch auf dem konservativen Flügel rumort es. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) und sein bayerischer Amtskollege Günther Beckstein (CSU) fürchten ums christliche und konservative Profil der Union. Schützenhilfe erhielten sie am Donnerstag vom Augsburger Bischof Walter Mixa, der mit einem Paukenschlag Position bezog. Die Familienpolitik der Bundesregierung sei kinderfeindlich und ideologisch verblendet, meldete er sich zu Wort. Wer Mütter dazu verleite, ihre Kinder bereits kurz nach der Geburt in staatliche Obhut zu geben, degradiere die Frau zur "Gebärmaschine".

Für den Bischof, der die Situation der Familien für sein Bistum zum Schwerpunktthema gemacht hat, steht die Politik von der Leyens im Dienst eines neuen Materialismus. Ziel sei nicht das Kindeswohl. Es gehe vielmehr darum, junge Frauen als Arbeitskräfte-Reserve für die Industrie zu rekrutieren. Die Denkmuster erinnerten ihn an die Ideologie der staatlichen Fremdbetreuung von Kindern in der DDR.

ZdK: Wahlfreiheit zwischen Betreuung zu Hause und Krippenbetreuung
Mit so schroffer Ablehnung steht Mixa in der katholischen Kirche bisher allein. Der "Familienbischof", Berlins Kardinal Georg Sterzinsky, und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) formulierten zwar auch die Sorge, dass Eltern in Rechtfertigungszwänge gebracht würden, wenn sie wegen der Kinder auf Erwerbstätigkeit verzichten. Andererseits forderten Kardinal und ZdK wirkliche Wahlfreiheit zwischen Betreuung zu Hause und Krippenbetreuung. Dass die zumindest in Westdeutschland nicht gegeben ist, verrät die aktuelle Statistik: Danach bieten die westdeutschen Länder nur für 2,8 Prozent der Kinder unter drei Jahren Plätze in Tageseinrichtungen.

Für das Heidelberger Büro für Familienfragen liegt der Skandal der Familienpolitik der Bundesregierung ganz woanders. Sein Sprecher Kostas Petropulos listete kürzlich auf, dass den Familien durch Beschlüsse der Bundesregierung - Mehrwertsteuer, Kürzung der Pendlerpauschale, Beschränkung des Kindergeldes bis zum 25. Lebensjahr - weit über zehn Milliarden Euro genommen worden seien. Dazu kommen die Pläne der Familienministerin und der SPD, den Ausbau der Kleinkinderbetreuung durch Kürzungen beim Kindergeld zu finanzieren. Damit werde den Familien die Grundlage jeglicher Wahlfreiheit genommen - nämlich ihre materielle Basis.