Kardinal Wetter bleibt auch im Rücktritt souverän

Abschied auf Raten

Völlig überraschend - nicht nur, was den Zeitpunkt angeht - hat der Münchner Kardinal Friedrich Wetter am Freitag seinen Amtsverzicht angekündigt. Zugleich erklärte er, dass er auf Bitten von Papst Benedikt XVI. bis zur Bestellung eines Nachfolgers als Administrator die Leitung des Erzbistums behält - ein für Deutschland höchst ungewöhnliches Verfahren. - "Man wollte Klarheit schaffen", beurteilt Ulrich Harprath vom St. Michaelsbund den überraschenden Rücktritt im domradio-Interview.

 (DR)

Spekulationen zuvorgekommen
Ungewöhnlich war auch die Diskretion, mit der die Personalie vorbereitet wurde. Die Medien wurden nur zweieinhalb Stunden vorher informiert, dass der dienstälteste deutsche Bischof mittags eine wichtige Erklärung abgeben wolle. Mit seinem souveränen Schritt kam der Kardinal allerlei Spekulationen zuvor, die ab dem Eintritt in sein 80. Lebensjahr wohl schon bald eingesetzt hätten. Wetter wird am 20. Februar 79 Jahre alt.

75 Jahre ist nach dem Kirchenrecht das Alter, in dem katholische Bischöfe ihren Rücktritt einreichen müssen, doch bei Kardinälen wartet der Papst meist mit der Annahme. So war es auch im Fall Wetters vor vier Jahren, was in seiner Diözese einhellig begrüßt wurde. Der tolerant-konservative Oberhirte wird wegen seines sachlichen Führungsstils und seiner Sorge um ein gutes Miteinander von den bayerischen Gläubigen und Seelsorgern über sein Bistum hinaus geschätzt. "Er weiß was er will, aber er gibt auch Räume zum Erörtern", sagen Insider. Auch in politischen Auseinandersetzungen zieht der Eisenbahnersohn den Dialog der Konfrontation vor.

Ende einer Ära in Bayern rückt näher
Mit Wetters Demission in zwei Etappen rückt im katholischen Bayern das Ende einer Ära näher. Seit 25 Jahren leitet er die Freisinger Bischofskonferenz und die mit 1,8 Millionen Katholiken größte Diözese im Freistaat. Der Münchner Bischofsstuhl gilt neben Köln als der bedeutendste in Deutschland. Die Deutsche Bischofskonferenz wird mit Wetter eine Stimme verlieren, die er in dieses Gremium seit 1968 einbrachte. Damals wurde er von seinem Mainzer Lehrstuhl für Dogmatik auf den Bischofsstuhl von Speyer berufen.

Drei Mal waren in Wetters Amtszeit in München Päpste zu Gast. Den Besuch von Papst Benedikt XVI. im vergangenen September in Bayern dürfte der Kardinal als Krönung seiner Laufbahn empfunden haben. An der Seite seines Amtsvorgängers in München, sei es auf dem Marienplatz oder auf dem Balkon des Erzbischöflichen Palais, präsentierte er sich stets mit strahlendem Gesicht.

Wetter stammt aus Landau nordwestlich von Karlsruhe. Als er geboren wurde, gehörte das Gebiet zu Bayern, weshalb der Kardinal immer wieder unterstrich, dass er selbst auch ein Bayer sei - einer freilich, der in seiner Herkunft fest verwurzelt ist. Das pfälzische Idiom hat Wetter auch in seinen vielen Münchner Jahren nie abgelegt. Umso mehr freute er sich, als er vor wenigen Monaten im Auftrag von Benedikt XVI. als erster deutscher Delegat die Seligsprechungsfeier des bayerisch-pfälzischen Ordensgründers Paul Josef Nardini in Speyer leiten durfte.

Wetter scheute stets das grelle Licht der Medien
Trotz seiner Popularität bei den Gläubigen kann sich der Kardinal bis heute, wenn er will, unauffällig in der Landeshauptstadt bewegen. Viele Strecken legt er mit der U-Bahn zurück, ohne dass er für Aufsehen sorgt. Dem Kirchenmann, der das grelle Licht der Medien scheut, kommt das durchaus gelegen.

Privates gibt er ungern preis, auf der Kanzel dagegen spricht er Klartext. Das gilt beim Einsatz für das geborene und ungeborene Leben, in der Kritik an politischen Entscheidungen zu Lasten der Armen, in der Verurteilung von blindem technologischem Fortschrittsglauben oder im Streit um einen Gottesbezug in der EU-Verfassung. Trotz manchmal etwas düsterer Lagebeurteilungen, etwa wenn er die Deutschen wegen der niedrigen Geburtenziffer als "sterbendes Volk" bezeichnet, ist Wetter kein Schwarzseher. "Wer glaubt, zittert nicht", zitiert der Kardinal gern ein Motto von Papst Johannes XXIII.