Geistig verwirrte Frau als Täterin festgenommen

Taizé-Gründer Roger bei Attentat getötet

 (DR)

Frere Roger, Gründer und Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taize, ist am Dienstagabend erstochen worden.
Eine möglicherweise geistig gestörte Frau versetzte dem 90-Jährigen während des Abendgebetes in der voll besetzten Kirche von Taize mehrere Messerstiche. Die Polizei nahm die Attentäterin fest. Die Tat löste weltweit Bestürzung aus. Papst Benedikt XVI.
zeigte sich ebenso entsetzt wie evangelische und katholische Bischöfe in der Bundesrepublik und die Spitzen der deutschen Politik. Auch der Weltjugendtag in Köln wurde von dem Ereignis überschattet. Dort gedachten die Teilnehmer des Priors mit Gebeten. Die Taize-Brüder setzten unterdessen ihre Tätigkeit bei dem Kölner Jugendtreffen in zwei Geistlichen Zentren fort.

Wie französische Medien am Mittwoch unter Berufung auf Justizkreise berichteten, hatte die Frau bereits im Juni eine Woche in Taize verbracht. Nach Aussage eines Mitglieds der Gemeinschaft habe sie Anzeichen psychischer Probleme gezeigt, ohne jedoch im mindesten aggressiv aufzutreten. Nach ersten Untersuchungen wurde sie zunächst nicht in psychiatrischen Gewahrsam genommen.

Mit seiner charismatischen Ausstrahlung war der gebürtige Schweizer eine der großen religiösen Persönlichkeiten der Gegenwart. Immer wieder rief er zur Versöhnung der getrennten Kirchen auf. Dabei setzte er besonders auf die jungen Christen.
Seit Beginn der 40er Jahre entwickelte der reformierte Theologe in Taize, einem kleinen südburgundischen Dorf in der Nähe von Cluny, ein neues Modell des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Konfessionen. Jährlich pilgern dorthin seit Jahrzehnten Hunderttausende von jungen Leuten aus West- und auch Osteuropa. Jeweils zum Jahreswechsel kommen auch Zehntausende jüngerer Menschen zu "Europäischen Taizetreffen" in einer jeweils anderen Stadt des Kontinents zusammen.

Ein Deutscher als Nachfolger

Nachfolger Frere Rogers als Prior wird der 51-jährige Deutsche Bruder Alois Löser. Der Katholik stammt aus Stuttgart und ist seit 32 Jahren Mitglied der Gemeinschaft. Bereits in den vergangenen Jahren hatte er mehr und mehr die organisatorische Leitung der ökumenischen Gemeinschaft übernommen.

Benedikt XVI. sagte am Mittwoch in seinem Sommersitz Castelgandolfo, er habe noch an dessen Todestag einen sehr bewegenden Brief von Frere Roger erhalten. Darin habe dieser ihm mitgeteilt, dass er zum Weltjugendtag aus gesundheitlichen Gründen nicht anreisen könne. Weiter schrieb Frere Roger, dass er das Kirchenoberhaupt möglichst bald in Rom habe besuchen wollen.
Als damaliger Kardinaldekan hatte Joseph Ratzinger, den das Konklave kurz darauf zum Papst wählte, dem Protestanten Frere Roger bei der Beisetzungsfeier für Johannes Paul II. im April die Kommunion gereicht. Die Geste erregte weltweit Aufsehen. Bruder Alois hatte allerdings zuletzt mitgeteilt, dass Frere Roger bereits seit 25 Jahren im Petersdom die Kommunion empfange.

Lehmann: Als Versöhner durch Gewalt gestorben

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, sagte, der Versöhner habe ein ähnlich gewaltsames Geschick erfahren wie Christus und anderer Zeugen für ein gewaltfreies Leben wie Martin Luther King und Dag Hammerskjöld.
Auch der Kölner Kardinal Joachim Meisner bedauerte, dass der gewaltsame Tod einen Menschen getroffen habe, für den gelte:
"Selig, die Frieden stiften". Kurienkardinal Walter Kasper würdigte den Prior als einen der großen Männer der Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts. Er habe das Mönchtum in den protestantischen Kirchen wiederbelebt. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, sagte, Frere Roger habe unzähligen jungen Menschen geholfen, eine geistliche Heimat zu finden.

Auch die Spitzen der deutschen Politik würdigten die Verdienste Frere Rogers. Bundespräsident Horst Köhler schrieb, die unfassbare Tat habe einen Menschen getroffen, der "zeitlebens für Brüderlichkeit, für Verständigung zwischen den Kirchen und Nationen und vor allem für Gewaltlosigkeit eingetreten" sei.
Bundeskanzler Gerhard Schröder nannte den Verstorbenen "eine der großen religiösen bedeutsamen Persönlichkeiten der Gegenwart". Er erinnerte auch an dessen Einsatz für von den Nazis verfolgte jüdische Flüchtlinge sowie für Migranten und die Menschen in Entwicklungsländern. Die CDU-Parteivorsitzende Angela Merkel nannte Frere Roger eine charismatische Persönlichkeit und einen Pionier der Ökumene. Durch sein Leben habe er die Unterschiede zwischen evangelischen und katholischen Christen fast verschwimmen lassen.

Nach seinem Theologiestudium in Lausanne und Straßburg hatte sich Roger Louis Schutz-Marsauche, so sein voller Name, 1940 in Taize niedergelassen; 1949 legten die ersten sieben Brüder Gelübde ab.
Heute gehören der ökumenischen Gemeinschaft rund 100 Mitglieder an. Brüder von Taize wirken mittlerweile auch in Elendsvierteln der so genannten Dritten Welt. Für sein "Werk der Versöhnung"
erhielt Frere Roger zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den "Templeton-Preis", der als eine Art "Nobelpreis der Religionen"
gilt, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, den Internationalen Karlspreis der Stadt Aachen (1989) und den UNESCO-Preis für Friedenserziehung.
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Ingo Brüggenjürgen hat in der Nacht erste Reaktionen in der St. Agnes Kirche in Köln gesammelt. Hier finden während des WJT Taizé-Andachten statt.
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Gottfried Bohl mit einem Rückblick auf das Leben von Frere Roger