Die Evangelische Kirche von Westfalen hat Konsequenzen aus dem unabhängigen Gutachten zum mutmaßlichen Missbrauchsfall im evangelischen Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein angekündigt, der 2023 zum Rücktritt von Annette Kurschus als westfälische Präses und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) führte. "Wir werden die Vorschläge des Berichts jetzt prüfen, etwa im Blick auf mögliche Pflichtverstöße Beteiligter und daraus gegebenenfalls noch abzuleitende Verfahren", sagte der Theologische Vizepräsident Ulf Schlüter am Samstag vor der westfälischen Landessynode. Die Verfahren der Prävention und Intervention sollten verbessert werden.
Konsequenzen werde es insbesondere im Blick auf die kirchenmusikalische Ausbildung geben, sagte Schlüter vor dem digital tagenden Kirchenparlament. "In dem Bereich muss sehr genau hingeschaut werden, wie Schutzkonzepte anzupassen sind und wie Sicherheit für Auszubildende geschaffen werden kann", betonte der Theologe, der die viertgrößte deutsche Landeskirche seit dem Kurschus-Rücktritt im November 2023 kommissarisch leitet.
Sieben Betroffene erheben Vorwürfe
Die von der Landeskirche beauftragte Firma Deloitte hatte am Dienstag eine umfangreiche Untersuchung der Vorgänge in Siegen vorgestellt. Demnach soll ein Kirchenmusiker dort jahrzehntelang ein Schüler-Lehrer-Verhältnis ausgenutzt und sexualisierte Gewalt gegen junge Orgelschüler verübt haben, auch in einer Kirche. Sieben Betroffene erheben Vorwürfe gegen den Mann, der inzwischen im Ruhestand ist. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wurden eingestellt, weil die mutmaßlichen Taten entweder verjährt sind oder die Betroffenen damals nicht mehr minderjährig gewesen seien.
Kurschus war in den 90er Jahren Pfarrerin in Siegen und mit der Familie des Kirchenmusikers eng befreundet. Nach Vorwürfen intransparenter Kommunikation über ihre Rolle trat sie im November 2023 zurück. "Unsere Kommunikationsprozesse waren nicht transparent und defizitär", räumte Schlüter ein. Es habe auch keine klaren Standards und keine verlässlichen Verfahren gegeben. Die Mängel und Konflikte im Umgang der Landeskirche mit dem mutmaßlichen Missbrauchsfall müssten offen angesprochen werden, auch wenn sie unangenehm, peinlich und schmerzhaft seien.