Kölnische Gesellschaft beteiligt sich an "Woche der Brüderlichkeit"

"Früher war es verpönt, antisemitisch zu sein"

Im Rahmen der "Woche der Brüderlichkeit" beteiligt sich auch die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit mit Aktionen. Die Bildungsarbeit mit der jüngeren Generation ist ein besonderer Schwerpunkt, um Antisemitismus zu begegnen.

Männer mit Kippa / © Markus Nowak (KNA)
Männer mit Kippa / © Markus Nowak ( KNA )

DOMRADIO.DE: Herr Werner, das Projekt "Jederzeit wieder! Gemeinsam gegen Antisemitismus" wurde ins Leben gerufen, um gezielte politische Bildungsarbeit gegen Antisemitismus im Kölner Raum voranzubringen. Wie genau passiert das?

Sebastian Werner (Geschäftsführer der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit): Wir haben in dem Projekt verschiedene Ansätze. Einerseits liegt der Fokus darauf, dass wir mit Schülerinnen und Schülern zu dem Thema ins Gespräch kommen, weil wir feststellen, dass das Thema in der Schule selbst nicht in der Form thematisiert wird, wie wir uns das wünschen würden. Die Schülerinnen und Schüler kommen früh mit antisemitischen Vorurteilen und Stereotypen in Verbindung, Berührung in der Familie und in ihrem Freundeskreis.

In der Schule wird das erst spät thematisiert; oft im Zusammenhang mit dem Holocaust und mit dem Nationalsozialismus. Wir wollten versuchen, das Thema etwas zu stärken. Da sind außerschulische Bildungsangebote immer sehr gern gesehen. Schulen können uns Anschreiben und uns einladen. Aber wir bieten auch selbst Seminare für Schülerinnen und Schüler an, die außerhalb der Schule stattfinden.

DOMRADIO.DE: Das Projekt das gibt es jetzt schon seit 2015. Was haben Sie seitdem bewegen können?

Werner: Wir haben eine Reihe von Seminar-Wochenenden durchgeführt, an denen auch Schülerinnen und Schüler mehrfach teilgenommen haben. Dabei hat sich ein Kern gebildet, der wirklich oft an unseren Angeboten teilgenommen hat, und wo man schon gemerkt hat, dass sich da tatsächlich eine Einstellungsveränderung auch vollzogen hat. Das war sehr schön zu beobachten.

Ansonsten entwickeln wir auch, wenn es an Schulen antisemitische Vorfälle gibt, ein Konzept, wie wir mit Schülerinnen und Schülern ins Gespräch kommen können, aber auch mit den Lehrkräften, die auch oft zum Thema Antisemitismus noch ein bisschen Unterstützung brauchen, weil in ihrer Ausbildung vielleicht das Thema nicht so vorgekommen ist. Da herrscht oft auch eine große Unsicherheit und wir wollen versuchen, diese Unsicherheiten mit Wissen entgegenzuwirken.

DOMRADIO.DE: Ein Problem ist ja wahrscheinlich heutzutage auch, dass viele Menschen Antisemitismus als ein Problem der Vergangenheit sehen. Was für eine konkrete Strategie braucht es denn, um den Menschen das Thema Antisemitismus bewusst zu machen und zu zeigen, dass es gegenwärtig ist?

Werner: Wir versuchen mit unserer Bildungsarbeit, die sich auch immer als gesellschaftskritische Bildungsarbeit versteht, einen Blick auf die heutige Gesellschaft zu werfen, und wollen einfach schauen, wie wollen wir zusammenleben und was hindert uns vielleicht daran, das auch umzusetzen. Deswegen liegt die Vergangenheit gar nicht so sehr im Fokus unserer Bildungsarbeit.

Es ist immer wichtig, sich auch darauf zu beziehen, weil das Thema Nationalsozialismus bis heute nachwirkt und auch bei vielen Schülerinnen und Schüler noch Unsicherheit zu dem Thema vorherrscht. Das heißt, wir müssen uns darauf beziehen, versuchen aber natürlich auch das Thema in die Gegenwart zu holen, indem wir zum Beispiel biografisch mit Erfahrungsberichten von jüdischen Schülern hier aus Köln arbeiten. Wir versuchen mit Interviews, die in Filmen gezeigt worden sind, einen Einblick zu bekommen und haben verschiedene Ansätze, mit denen wir versuchen, das Thema aktuell darzustellen.

DOMRADIO.DE: Das Projekt "Jederzeit wieder!" läuft 2019 eigentlich aus. Was passiert danach? Was nehmen Sie sich dann für ihre Bildungsarbeit vor?

Werner: Erstmal werden wir versuchen, das Projekt auf eine neue Förderbasis zu stellen. Da sind wir gerade in Gesprächen und hoffen dass das funktionieren wird. Parallel sind wir auch dabei, neue Konzepte zu entwickeln. Das ist die Standardarbeit in der politischen Bildungsarbeit. Man muss dann über neue Modellprojekte versuchen, wieder an eine Förderung zu kommen, um die Arbeit verstetigen zu können.

Wir sind aber ganz guter Dinge, dass das funktioniert, weil das Thema wichtig ist - auch bei den entscheidenden Stellen. Deswegen hoffen wir, dass wir mit der Erfahrung, die wir jetzt in den mehr als vier Jahren gesammelt haben, dass wir diese Erfahrungen weitergeben können und weiter in der Bildungsarbeit tätig sein können.

DOMRADIO.DE: Herr Wilhelm, die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit beteiligt sich an der "Woche der Brüderlichkeit". Heute gab es zum Auftakt einen Vortrag. Wie wurde in die Woche der Brüderlichkeit gestartet? Was für ein Zeichen sollte da gesetzt werden?

Jürgen Wilhelm (Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit): Es ging darum, in Zeiten eines zunehmenden Antisemitismus, den wir in Europa erleben, aber auch in Deutschland am signifikantesten durch die AfD im Deutschen Bundestag und in vielen Länderparlamenten, dieses Problem aufzugreifen und die Menschen aufzufordern, aktiv dagegen vorzugehen. Und das nicht nur im kleinen Kreis, sondern sie aufzufordern, antisemitische Sätze nicht mehr durchgehen zu lassen, zu sagen, das ist jetzt genug, das gehört hier nicht hin. Es als solches zu bezeichnen, was es ist, nämlich undemokratisch und antisemitisch.

DOMRADIO.DE: Was genau ist heute bei Ihrer Veranstaltung zur "Woche der Brüderlichkeit" passiert? Wie gut wurde diese angenommen?

Wilhelm: Richard Schneider ist ein Journalist und Schriftsteller, der auch lange Zeit ARD-Korrespondent in Tel Aviv war, selbst Jude und in München aufgewachsen ist. Er lebt inzwischen in Tel Aviv. Er hat sehr authentisch aus seiner eigenen Biografie heraus dargestellt, wie ihm als Kind schon Antisemitismus begegnet ist. Er hat das mit einer Distanz getan. Er hat das nicht vorwurfsvoll referiert, sondern sogar mit einem Schuss Humor, aber doch deutlich gemacht, wie allgegenwärtig Vorurteile gegen Juden in Europa und eben auch immer wieder in Deutschland oder auch in Köln an der Tagesordnung sind.

DOMRADIO.DE: Die Gesellschaft beschäftigt sich schon seit 1958 mit der christlich-jüdischen Zusammenarbeit und sie sind schon seit 1986 Vorstandsmitglied. Was sehen Sie denn heute im 21. Jahrhundert als größte Herausforderung?

Wilhelm: Im Zusammenhang mit Antisemitismus ist es für mich schon erschreckend zu sehen, dass in den letzten Jahren Tabubrüche gibt. Es war lange Zeit nach 45, nach dem Ende der Nazizeit und dem dann bekannt werdenden Holocaust war es total verpönt, es war tabuisiert, antisemitisch zu sein, sich zu äußern oder zu schreiben. Es mag ihn immer gegeben haben, das ist möglich. Wahrscheinlich war er nie ganz ausgerottet, aber doch jahrzehntelang war er in dieser Gesellschaft nicht auf der Tagesordnung. Das ist eben seit einigen Jahren nicht mehr der Fall. Das können auch empirische Studien belegen. Wir haben viele davon.

Wir arbeiten mit Schülerinnen und Schülern zusammen, um sie in die Situation zu versetzen, mit diesem Thema positiv, offensiv, aber auch konstruktiv umzugehen und zu fragen: Was soll das? Was ist der Hintergrund? Es gibt ja keine wirkliche rationale Erklärung für Antisemitismus außer der christlichen 2000-jährigen unseligen Geschichte zwischen Judentum und Christentum. Das ist schwierig und schlimm genug.

Sie fragten nach dem 21. Jahrhundert. Das ist nicht mehr das aktuelle Thema. Die Christen und Juden haben ja nun viele gute Zeichen von Versöhnung und einem Miteinander gesendet und praktizieren das auch. Sondern es ist ein gesellschaftspolitisches Problem.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielen wir Christen konkret, wenn es darum geht diese Zusammenarbeit zu stärken?

Wilhelm: Es gibt viele gute Zeichen von konstruktiver, gesellschaftspolitischer Arbeit, Positionsbeziehungen zu bestimmten relevanten Themen. Es gibt den theologischen Austausch zwischen Juden und Christen. Es gibt Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, wo sich Menschen aus allen Berufszweigen in vielen Städten und Regionen regelmäßig treffen, sich der Themen annehmen.

Wir beschäftigen uns ja auch nicht nur mit Antisemitismus, Gott sei Dank. Es ist nicht nur das beherrschende Thema, sondern eben auch mit rassistischen Problemen. Wir versuchen, Minderheitenschutz zu geben und erheben unsere Stimme, wenn wir von unserem Auftrag her den wir uns als Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gegeben haben, dazu aufgefordert fühlen.

DOMRADIO.DE: Der Vatikan hatte angekündigt, die Archive zu Papst Pius XII. zu öffnen. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, nicht aktiv etwas gegen den Holocaust getan zu haben. Die Öffnung der Archive wird von vielen Seiten als starkes Zeichen zwischen den Christen und Juden gedeutet. Wie sehen Sie das?

Wilhelm: Ich sehe das auch so positiv. Es hat - wie so oft in der Institution katholische Kirche - sehr lange gedauert. Dafür gibt es Gründe. Aber nachdem jetzt Benedikt gesagt hat, wir machen das und der aktuelle Papst, das Zeichen gegeben hat, dass es nächstes Jahr möglich sein wird, in die Akten zu schauen, weil sie jetzt geordnet und Wissenschaftlern zugänglich sind, begrüße ich das außerordentlich. Ich bin auch selbst historisch neugierig darauf, wie die Rolle nun wirklich war, und hoffe mir, einen großen Erkenntnisgewinn.

Das Interview führte Julia Reck.


Quelle:
DR