Ein Kommentar zur Vatikan-Instruktion von Dr. Werner Kleine

Ein Schatz aus Altem – und das Neue?

Verrennt sich die Kirche in politische Grabenkämpfe? Der Pastoralreferent Werner Kleine findet: Wirklich vorankommen kann die Kirche nur, wenn Konflikte offen und ehrlich angegangen werden. Ein Kommentar.

Kruzifix im Sonnenschein / © thanasus (shutterstock)

Verlässlichkeit ist eines der Merkmale des römischen Katholizismus. Und das gilt in allen Facetten. Der Verlässlichkeit der Lehre korrespondiert die Verlässlichkeit der Reaktionen auf die Darstellung derselben. Die einen monieren mangelnden Fortschritt und fehlenden Realitätsbezug, die anderen bedanken sich für die Bestätigung dessen, was eigentlich nichts Neues ist. Ein echtes Fortschreiten in der Erkenntnis oder gar ein Wachsen im Glauben kann sich so nicht ereignen. Dazu wäre ein ehrlicher Streit miteinander notwendig, ein Ringen um den Weg durch die Zeitalter, eine Übergabe der Botschaft von Generation zu Generation, eine immer neue Inkarnation, ein immer aktuelles Gestaltwerden des göttlichen Logos in dem Geist Gottes, der die Zeiten durchweht. Das alles wäre möglich, wenn, ja wenn das gegenseitige Verurteilen nicht mehr Standard wäre, sondern die Anerkennung des ehrlichen Bemühens der Vielen, einen Weg zu suchen, das nahe Reich Gottes auch heute noch zum Vorschein zu bringen. Stattdessen verweisen die einen immer wieder auf die reine Lehre, während die anderen auf jene Leere verweisen, die droht, wenn die reine Lehre zur leeren Form gerät. Mit diesem Dissens enden seit Jahren die Auseinandersetzungen, die immer mehr einem Stellungskampf gleichen, bei denen alle irgendwie in ihren rhetorischen Schützengräben sitzen, ohne dass es auch nur irgendeinen echten Fortschritt gäbe. Dort, im sicheren Graben, werden dann Träume von einer wachsenden und lebendigen Kirche geträumt, während die Menschen in der realen Welt ihrer Wege gehen.

Reiz und Reaktion

Das alte Spiel von Reiz und Reaktion ist auch in diesen Tagen wieder zu beobachten. Die Kleruskongregation veröffentlicht eine “Instruktion zur pastoralen Umkehr der Pfarreien“. Es dauert nicht lange, bis sich aus den Gräben die Stimmen erheben – mit den alten, vorhersehbaren Reaktionen. Die einen bedauern schnell – und zwar so schnell, dass man Zweifel haben kann, ob die Instruktion überhaupt gänzlich gelesen wurde –, dass Rom einmal mehr dem Engagement der Laien Steine in den Weg legen würde, die anderen hingegen loben die getreulichen Worte und bedanken sich für die Bestätigung dessen, was man schon längst wusste. Es braucht in Zeiten der sogenannten sozialen Medien, bei denen sich nun wirklich jede und jeder zum Thema äußern kann, nur wenige Tage, bis sich wirklich fast alle mit den jeweils erwartbaren Haltungen geäußert haben – und damit alles beim Alten bleibt. Denn auch das ist ein Zeichen der Zeit, dass die sozialen Medien den streitbaren Diskurs und dem Ringen um Argumente in einen Austausch von Befindlichkeiten im "Gefällt mir“-/"Gefällt mir nicht“-Modus überführt haben, bei dem nicht selten echte oder scheinbare Verletzungen zur Schau getragen werden, die jene katholische Harmoniebedürftigkeit, die ein merkwürdiges Bindemittel letztlich aller Beteiligten ist, stört. Das will natürlich niemand, weshalb man den drohenden Streit besser doch nicht führt und alle wieder in ihre Gräben zurückkehren. Bis zum nächsten Mal. Alles schon einmal dagewesen. Alles bleibt beim Alten.

Aufgeschreckte Episkopen

Und doch war diesmal etwas anders. Einige der deutschen Bischöfe reagierten auffällig gereizt. Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick etwa sprach davon, dass die Instruktion “theologisch defizitär“ sei  und man sie besser so nicht veröffentlicht hätte. Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf sah einen “Eingriff“ in sein bischöfliches Amt, den er “nicht so einfach hinnehmen“ könne. Das sind nur zwei der kritischen Stimmen von Bischöfen, die oft parallel auf ihre Sorge “um die vielen (noch) Ehrenamtlichen“ (Bischof Kohlgraf) verweisen, die sich angesichts solch vatikanischer Gängelungen abzuwenden drohen. Wer diese Worte hört und liest, muss den Eindruck gewinnen, dass da aus Rom etwas völlig Unerwartetes gekommen sei ...

Bei näherer Betrachtung der “Instruktion zur pastoralen Umkehr der Pfarreien“ fällt auf, dass dort in der Tat die reine Lehre über die Zusammenarbeit und das Zusammenwirken von Klerikern und Laien wiederholt wird, die nicht nur kirchenrechtlich festgeschrieben ist, sondern in den letzten Jahrzehnten auch durch verschiedene päpstliche Dokumente festgelegt wurde. Erinnert sei alleine an die “Instruktion zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester“ Papst Johannes Pauls II aus dem Jahr 1997, der mit Blick auf das aktuell erneut betonte Predigtverbot für Laien in der Eucharistiefeier in §4 zuerst ausführt, dass angesichts andauernder objektiver Situationen, die die Zulassung von Laien zum Predigtdienst nahelegen, entsprechende Genehmigungen in Ausnahmefällen möglich seien. Im Jahr 2004 heißt es dann aber in der Instruktion “Redemptionis sacramentum“ (Nr. 66), dass “das Verbot der Zulassung von Laien zur Predigt innerhalb der Messfeier (...) auch für die Alumnen der Seminare, für Studenten der theologischen Disziplinen und für jene, die als sogenannte ‘Pastoralassistenten‘ eingesetzt sind, sowie für jedwede Art, Gruppe, Gemeinschaft oder Vereinigung von Laien“ gilt. Das ist nur ein Beispiel, dass die aktuelle “Instruktion zur pastoralen Umkehr der Pfarreien“ keinen Rückschritt bedeutet. Einen Fortschritt bringt sie aber auch nicht. Sie fixiert den Status quo.

Nichts Neues unter der Sonne

Nichts wirklich Neues also unter der Sonne, die der Schöpfer über Gerechte wie Ungerechte scheinen lässt. Wirklich überrascht kann man nicht sein über das, was da aus Rom kommt. Tatsächlich verweisen jetzt viele, in deren Bistümern angeblich Laien die Leitung von Pfarreien übernommen hätten, dass das alles ja nach can 517 §2 CIC 1983 geschehen wäre, letztlich also auch dort ein Pfarrer die Letztverantwortung trägt. Da wird so oder so derzeit viel Sand von Traummännern und -frauen verstreut. Auf der anderen Seite wird aber den Laien auch keines der Rechte genommen, dass sie haben. Wenn etwa im Bistum Essen ungeweihte Männer wie Frauen, Ehrenamtliche wie Hauptamtliche sonntags Wort-Gottes-Feiern leiten, dann wird gerade nicht beanstandet, sondern sogar ausdrücklich in Nr. 98,1 gutgeheißen. Dort heißt es, dass der Bischof “gemäß seinem klugen Ermessen“ auch Laien unter der Leitung und der Verantwortung des Pfarrers “Die Feier eines Wortgottesdienstes an Sonntagen und gebotenen Feiertagen, wenn ‘wegen des Fehlens eines geistlichen Amtsträgers oder aus einem anderen schwerwiegenden Grund die Teilnahme an einer Eucharistiefeier unmöglich ist‘“ übertragen kann. Aber auch das ist nicht neu, ist es doch schon längst im can. 1248 § 2 CIC 1983 geregelt. Wohlgemerkt: Der Bischof kann das tun, er muss es nicht! Dort, wo das aber geschieht, wie etwa im Bistum Essen, ist jedes Echauffieren über einen vermeintlichen Rückschritt in dieser Sache nur ein Beleg, dass die so Klagenden das Dokument wohl noch nicht zur Gänze gelesen haben.

Und nun?

Nun sind die einen schockiert und zeihen den Vatikan der Weltfremdheit, andere freuen sich, dass alles katholisch bleibt. Nichts Neues. Alles bleibt beim Alten. Die Erde dreht sich weiter, während viele ihr Heil eben nicht mehr bei der Sakralität des Amtes suchen. Hier irrt etwa Christian Geyer in seinem FAZ-Beitrag vom 22. Juli 2020, der nicht nur - wie ich finde - unzulässigerweise das Priesteramt Psychotherapien gegenüberstellt (das eine ist etwas anderes als das andere und beides kann nicht gegeneinander ausgespielt werden). Auch seine Hoffnung, "die Anbindung ans Sakrale [zähle] mehr als profane Eloquenz" zerschellt bereits jetzt an der Realität. Gilt also weiterhin Hoffnung wider alle Hoffnung?

Im Evangelium vom 17. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahr A heißt es: "Da sagte er zu ihnen: Deswegen gleicht jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreichs geworden ist, einem Hausherrn, der aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt." (Matthäus 13,52)

Der Schatz besteht aus Altem und Neuem - und es ist ein Schriftgelehrter, der als Exempel herhalten muss. Das freut den Exegeten nicht nur, sondern erinnert ihn auch an das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum (Lukas 13,6-9). Da gibt der Gärtner dem scheinbar toten Holz noch eine Chance und gräbt den Boden um die Wurzel herum auf und düngt ihn. Das scheint mir ein Hinweis auf den Weg zu sein. In vielen Zukunftsprozessen und synodalen Wegen wird an Symptomen herumgedoktert - immer oder oft mit dem Hinweis, dass man auf der Ebene des Lokalen ja abhängig von universalkirchlichen Lösungen sei. Die Frage des Frauenpriestertums, der Zölibat, die Amtstheologie auch das Miteinander und die Zusammenarbeit von Priester und Laien sind da schon mehrfach von Rom aus beantwortet worden – natürlich erwartbar mit dem Hinweis auf das Bestehende. Was hat man jetzt erwartet? Wenn man da weiterkommen will, muss man diese Frage offenkundig gesamtkirchlich angehen. Die Amazonien-Synode war da mit vielen Hoffnungen honoriert worden - die enttäuscht worden sind. Unter dem aktuellen Pontifikat ist da deshalb keine weitergehende Perspektive zu erwarten. Ob zukünftige Päpste da weitergehen wollen? Wer kann das sagen ...

Es bräuchte wohl ein neues Konzil, um diese Fragen grundlegend zu durchringen. Aber auch da ist niemand, der sich da auf den Weg macht. Altes und Neues aus dem Schatz? Das Alte ist sichtbar - aber wo ist das Neue? Wo ist das Salz mit Geschmack? Auch die jetzige Diskussion um eine Instruktion, die eher ein Memorandum ist, das Bekanntes in Erinnerung ruft, bringt keinen Fortschritt. Werden die Bischöfe, die jetzt ihre Kritik öffentlich äußern, wirklich den Rubikon überschreiten und wie weiland Cäsar Rom frontal angreifen. Ich fürchte, dass auch hier die tatsächlichen Vorgehensweisen vorgeprägten Mustern folgen. Auch diesmal wird dem Aufruhr ein erwartbarer Rückzug folgen.

Lehre leere Lehren leeren

Reine Lehre oder reine Leere? Das ist nun die Frage. Das Salz scheint schal geworden ... und doch gilt die Verheißung, dass das Reich Gottes nahe ist. Das ist konkreter, als viele ahnen. Ich mache deshalb weiter als einer, der durch Taufe und Firmung längst zum Zeugen wurde ... und gehe deshalb weiter in Wuppertal auf die Straßen und Plätze der Stadt und begegne dort Menschen, bei denen am Ende des Geldes noch viel Monat übrig ist, Alleinerziehenden, die in Corona-Zeiten noch größere Schwierigkeiten mit der Betreuung ihrer Kinder haben, Frauen und Männern, die einen Ausweg aus heillosen Beziehungen suchen – den ganz normalen Leben also, in denen immer wieder neue kreative Lösungen nötig sind. Wie schön wäre es gewesen, wenn es dazu einmal eine Instruktion geben würde – ohne blutleeren geistlichen Überbau, dafür mit geistgeschwängerter Lebensnähe; eine Instruktion, von der man staunend sagen könnte, sie wäre nah dran an den Worten des ewigen Lebens. Das wäre wirklich etwas Neues. So aber wurden wir alle noch einmal an das erinnert, was wir eigentlich längst wussten ...

Dr. Werner Kleine

Über den Autor: Werner Kleine ist Pastoralreferent im Erzbistum Köln und betreut unter anderem die "Katholische Citiykirche Wuppertal"

Der Kommentar spiegelt die Meinung des Autors wieder, nicht unbedingt von DOMRADIO.DE. 


 

Dr. Werner Kleine / © Christoph Schönbach (privat)
Dr. Werner Kleine / © Christoph Schönbach ( privat )
Quelle:
DR
Mehr zum Thema