Ludwig von Bayern spricht über Kenia und Rolle der Frauen

"Mit wenig Mitteln viel erreichen"

Seit 2011 taucht in Turkana in Kenia immer wieder ein Trachtenhut auf. Dessen Träger ist Ludwig Prinz von Bayern, der dort Entwicklungshilfe leistet. Er spricht über den Glauben und wieso in Kenia manche Babys keine Windeln brauchen.

Ludwig Prinz von Bayern bei einem Spatenstich für ein pastorales Zentrum am 24. April 2024 in Loropio (Kenia) / © Christopher Beschnitt (KNA)
Ludwig Prinz von Bayern bei einem Spatenstich für ein pastorales Zentrum am 24. April 2024 in Loropio (Kenia) / © Christopher Beschnitt ( KNA )

Ludwig Prinz von Bayern (41), der künftige Chef des Hauses Wittelsbach, hat in der Nähe des Ortes Loropio den "Learning Lions"-Campus mitaufgebaut, im Kern eine Schule für digitale Dienstleistungen. Aktuell entsteht dort in Kooperation mit dem Hilfswerk missio München zudem ein Kirchenzentrum.

KNA: Prinz Ludwig, was reizt Sie an Kenia so sehr, dass Sie in den vergangenen Jahren dort teils mehr Zeit als in Ihrer Heimat verbracht haben?

Ludwig Prinz von Bayern in Loropio (Kenia) / © Christopher Beschnitt (KNA)
Ludwig Prinz von Bayern in Loropio (Kenia) / © Christopher Beschnitt ( KNA )

Ludwig von Bayern: Dass man hier in relativ kurzer Zeit mit relativ wenig Mitteln unglaublich viel erreichen kann.

KNA: Um das Leben zu verbessern?

Von Bayern: Ja. Wobei man im Ausdruck vorsichtig sein sollte. Nicht alles aus dem Westen ist für einen Menschen in Turkana besser. Hier herrscht ein großer Grundoptimismus, ein starker Zusammenhalt. In dieser Hinsicht können eher wir uns etwas abgucken. Aber ja, bestimmte Dinge müssen in Turkana unbedingt verbessert werden.

KNA: Welche?

Von Bayern: Die Kultur ist hier teils wie vor Jahrhunderten: Mädchen sind eine Handelsware und werden schon als Kinder Männern zur Frau versprochen. Manchmal bereits mit neun Jahren werden sie verheiratet. Auch wenn die Ehe vielleicht erst mit 14 vollzogen wird, ist das viel zu früh. Viele Mädchen sterben, weil sie für eine Schwangerschaft nicht genug entwickelt sind. Und weil die Männer verhindern, dass sie bei Komplikationen ins Krankenhaus kommen. Denn offiziell sind Kinderehen auch in Kenia verboten.

KNA: Wieso halten die Menschen trotzdem an der Tradition fest?

Ludwig Prinz von Bayern

"Wir können nicht Volksgruppen abkapseln wie Zootiere."

Von Bayern: Man gilt als nicht normal, wenn man mit 20 noch keine Kinder hat. Da ist viel Irrglauben im Spiel: Leute denken, man bleibe nur fruchtbar, wenn man früh schon Kinder kriegte; und dass Verhütungsmittel unfruchtbar machten, wenn man sie vor dem ersten Kind benutzte. Bildung und Berufschancen, wie sie die "Learning Lions" bieten, sind ein guter Ansatz dagegen.

KNA: Wie werden Ihre Vorstellungen in Turkana aufgenommen?

Von Bayern: Für Veränderungen braucht es immer Geduld. Meistens. Manches darf nicht toleriert werden, die Kinderheiraten etwa. Ein anderes Beispiel sind Versammlungen: Wenn wir hier mit Menschen reden, treten erst mal nur Männer zusammen. Da muss man drauf bestehen, dass auch Frauen dazukommen. Wenn man das klar kommuniziert, klappt's meist gut.

KNA: Was gibt Ihnen die Sicherheit, richtig zu handeln?

Von Bayern: Manche sagen: Das sind jahrtausendealte Kulturen, lasst die in Ruhe. Das entspricht nicht meinen Vorstellungen von Menschenrechten. Wir können nicht Volksgruppen abkapseln wie Zootiere. Deren Kulturen können nur fortbestehen, wenn sie sich den neuen Zeiten anpassen. Daher ist es wichtiger, die schönen Dinge wie Sprache, Kleider, Tänze, Gesänge zu erhalten. Was hingegen nicht in ein globales Menschenrechtsverständnis passt, muss man loswerden. Ein neunjähriges Mädchen zu verheiraten, ist einfach absolut falsch.

KNA: Was entgegnen Sie Entwicklungshilfe-Kritikern, die sich an "weißen Rettern" stören?

Von Bayern: Diese Kritik ist oft berechtigt. Hilfe nach dem Motto "Ich stark, du schwach – ich helf jetzt dir" ist nicht nachhaltig. Es braucht Augenhöhe: "Ich hab Ideen, wie du etwas besser gestalten kannst, arbeiten wir doch mal zusammen daran, sie umzusetzen."

KNA: Spielt Glauben bei Ihrem Einsatz eine Rolle?

Von Bayern: Ich glaube, es gibt unabhängig von Religion im Menschen ein Verständnis für Grundwerte. Ich bin katholisch aufgewachsen und kann den damit verbundenen Glauben wunderbar in mein Werteverständnis einbetten.

KNA: Sie haben das Thema Frauenrechte betont – im katholischen Kontext ja durchaus ein heißes Eisen.

Von Bayern: Ich habe in der katholischen Kirche so viele tolle Frauen erlebt, gerade hier in Kenia in der Mission. Da sind große, große Führungspersönlichkeiten dabei, wo man sich schon oft wünscht, dass es für sie mehr Aufstiegschancen gäbe.

Ludwig Prinz von Bayern

"Die Pfarrgemeinden sind hier wie Familien."

KNA: Kann die Kirche von Deutschland etwas von der in Kenia lernen?

Von Bayern: Wenn es bei uns in Deutschland eine Bischofsvisite gibt, ist in der Gemeinde meistens etwas schiefgegangen – hier hingegen sind die Bischofsbesuche ganz normal. Priester leben auch nicht allein, oft vereinsamt, in ihrem Pfarrhaus, sondern wie bei uns früher: in Gemeinschaft mit anderen Priestern und Mitbewohnern, mit denen sie sich die Gemeindearbeit teilen. Und in der Gemeinde sind sie ständig wo eingeladen. Die Pfarrgemeinden sind hier wie Familien.

KNA: Nun bauen Sie mit dem katholischen Hilfswerk missio München ein pastorales Zentrum mit Kirche, Pfarr- und Ordenshaus. Wieso?

Teilnehmer bei einem Spatenstich für ein pastorales Zentrum am 24. April 2024 in Loropio (Kenia). / © Christopher Beschnitt (KNA)
Teilnehmer bei einem Spatenstich für ein pastorales Zentrum am 24. April 2024 in Loropio (Kenia). / © Christopher Beschnitt ( KNA )

Von Bayern: Das Christentum ist in der Region Turkana stark verwurzelt. In Loropio fehlt aber bisher ein Ort, um den Glauben zu leben. Die Kirche wird hier alles zusammenführen: Wir haben Landwirtschaft, Kindergärten, Schulen, den IT-Campus, eine Fischfabrik – da braucht man auch einen gemeinsamen Punkt des Feierns. Man braucht doch mehr als das Essen auf dem Teller. Ideell gesehen. Materiell reicht oft weniger.

KNA: Inwiefern?

Von Bayern: Manche Mütter hier kommen etwa ohne Windeln zurecht. Weil sie die Säuglinge fast immer am Körper tragen und so spüren, wenn sie müssen. Dann halten sie das Kind einfach über einen Busch oder eine Schale.

Ludwig Prinz von Bayern

"Wenn man eine Familie gründet, muss man eine Balance finden."

KNA: Ein Modell für Sie als baldigen Vater?

Von Bayern (lacht): Nein, das hab ich so nicht vor, obwohl Windeln schon ein ziemlicher Umweltfaktor sind. Aber ich fürchte, so leicht kommt man in Europa nicht drum herum.

KNA: Wie wollen Sie Ihr Kenia-Engagement mit Ihrer Vaterrolle in Einklang bringen?

Von Bayern: Wenn man eine Familie gründet, muss man – heute ganz besonders, aber das hätte man auch schon früher machen können – eine Balance finden. Dass eine Familie so funktioniert, dass man nicht alles auf einen abwälzt, sondern dass der Vater genauso wie die Mutter eine wichtige Rolle spielt.

KNA: Wie wär's mit Elternzeit in Kenia?

Von Bayern: Meine Privat- und Familienangelegenheiten bespreche ich nur mit meiner Frau und nie in den Medien.

KNA: Haben Sie weitere Ausbaupläne für den "Learning Lions"-Campus?

Von Bayern: Ja, wir können noch Spenden gebrauchen! Wir wollen vom Stararchitekten Francis Kere ein Windrad samt Wassertank in Form einer weithin sichtbaren "Skulptur der Nachhaltigkeit" errichten lassen, um nicht nur Technik, sondern auch Kunst zu erhalten. Kere, der aus Burkina Faso stammt, hat schon unseren Campus entworfen und ist mit der afrikanischen Formensprache bestens vertraut. Dadurch passt das, was hier entstehen wird, gut in die Landschaft und zu den Menschen und kann ihnen Freude und Stolz geben. Vielleicht wird diese Skulptur von den Turkanern einmal so stolz hergezeigt werden wie Neuschwanstein von den Bayern.

Das Interview führte Christopher Beschnitt (KNA).

Quelle:
KNA