Christen sind enttäuscht vom Reformpaket der Regierung

"Die Türkei behandelt ihre Bürger als Ausländer"

"Wir sind tief enttäuscht", so lautete die Reaktion des griechisch-orthodoxen Patriarchates von Konstantinopel auf das Reformpaket zur Demokratisierung der Türkei. Das seit langem erwartete Paket hatte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vergangene Woche vorgestellt.

Autor/in:
Bettina Dittenberger
 (DR)

"Wir sind tieftraurig, weil die Wiedereröffnung des theologischen Seminars Chalki nicht im Demokratisierungspaket enthalten ist", erklärte Metropolit Elpidophoros, Abt des orthodoxen Klosters auf der Insel Chalki vor Istanbul, dem das Priesterseminar des Patriarchates angegliedert ist. "Wir hatten große Hoffnungen, dass es diesmal geschehen würde."

Doch es wurde auch bei diesem Mal, 42 Jahre nach Schließung des Seminars, nichts aus der ersehnten Wiedereröffnung. Am Patriarchat herrscht seither enttäuschte Stille. Doch bei den Christen der Türkei schlägt die Empörung nach dem ersten Schock inzwischen hohe Wellen.

Leere Versprechungen

Seit zehn Jahren schon kündigt Erdogans Regierung an, das nach dem Militärputsch 1971 geschlossene Priesterseminar wieder eröffnen zu wollen. "Wenn wir Gleichstellung wollen, wenn wir alle Glaubensrichtungen respektieren, dann gibt es nichts Natürlicheres als die Öffnung dieser Schule", sagte der damalige Bildungsminister Hüseyin Celik, als er 2003, ein Jahr nach Regierungsantritt, die Gründung eines Ausschusses ankündigte, der die gesetzlichen Grundlagen dafür schaffen sollte.

Die Zeit drängte schon damals. Die meisten Geistlichen am Patriarchat waren schon vor einem Jahrzehnt steinalt; der gegenwärtige Patriarch Bartholomaios I. (73) zählt zu den letzten Absolventen des traditionsreichen Seminars auf Chalki. Inzwischen stirbt der Klerus aus, auch wenn die türkische Regierung in den vergangenen Jahren eineinhalb Dutzend orthodoxe Geistliche aus dem Ausland eingebürgert hat, um den Niedergang der Kirche aufzuhalten.

Allgemein war nun damit gerechnet worden, dass das angekündigte Demokratisierungspaket Erdogans den Befreiungsschlag bringen werde. Doch der Regierungschef hatte andere Ideen: Erst wenn Griechenland die Rechte seiner türkisch-muslimischen Minderheit achte, werde auch die griechisch-christliche Minderheit in der Türkei zu ihrem Recht auf Priesterausbildung auf Chalki kommen, erklärte er zum Schrecken der griechisch-orthodoxen Gemeinde in der Türkei, die im 20. Jahrhundert von Millionen auf heute kaum noch 2.000 zusammengeschmolzen ist.

Erdogan griff damit auf den 1923 unterzeichneten Vertrag von Lausanne zurück, in dem der Bevölkerungsaustausch zwischen der Türkei und Griechenland besiegelt und das Prinzip der Gegenseitigkeit im Umgang mit den jeweilen Minderheiten festgeschrieben wurden. Griechenland müsse aufhören, in die religiösen Rechte seiner muslimischen Minderheit einzugreifen, indem es etwa über ihre Köpfe hinweg deren Muftis auswähle, bekräftigte Erdogan im Parlament: "So wie ich nicht den Patriarchen ernenne, so könnt ihr nicht Muftis ernennen." Zudem forderte er die Eröffnung von zwei Moscheen in Athen. Dann könne Chalki "augenblicklich" eröffnet werden: "Wenn wir etwas geben, dann wollen wir auch etwas bekommen."

"Sind wir denn Gefangene?"

Menschenrechtler und christliche Minderheiten in der Türkei sind schockiert von dieser Koppelung. "Das Prinzip der Gegenseitigkeit kann doch nicht auf die Menschenrechte angewandt werden", sagt etwa der Anwalt Orhan Kemal Cengiz, der sich für die christlichen Minderheiten engagiert. Es sei schon verständlich, sich für die Verbesserung der Rechte der türkischen Minderheit in Griechenland einzusetzen; "aber es ist inakzeptabel, den eigenen Staatsbürgern dafür ihre Rechte vorzuenthalten".

Auch der türkische Menschenrechtsverein IHD kritisierte die Haltung der Regierung. "Die Türkei behandelt ihre (christlichen) Bürger damit als Ausländer", so der IHD-Vorsitzende Öztürk Türkdogan. Und wütend kommentierte der armenische Kolumnist Hayko Bagdat in der Zeitung "Taraf": "Sollen die Minderheiten in diesem Land danach regiert werden, wie ein anderes Land seine Minderheiten behandelt?", fragt Bagdat: "Sind wir denn Gefangene?"


Quelle:
KNA