Aminul Islam war ein kleiner, unscheinbarer Mann, doch in Ashulia kannte ihn jeder. In dem schmuddeligen Industriegebiet außerhalb von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka reiht sich Textilfabrik an Textilfabrik. Hier steht auch der Tazreen-Betrieb, wo am Wochenende mehr als 110 Menschen ums Leben kamen, nachdem im Erdgeschoss ein Feuer ausgebrochen war. Weil alle Ausgänge verschlossen waren, wurde das neunstöckige Haus zur Todesfalle. Auch C&A ließ dort Kleider nähen.
In der Nachbarschaft hatte auch Aminul Islam sein winziges Büro: der Arbeitsaktivist hatte sich seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen in der Textilbranche eingesetzt. Arbeiterinnen und Arbeiter kamen mit ihren Sorgen zu ihm: wegen nicht gezahlter Löhne, brutalen Vorarbeitern und miserablen Arbeitsbedingungen. Er kämpfte für ihre Rechte. Bis er im April plötzlich verschwand.
Wenige Tage später wurde er tot gefunden. Sein Körper wies Folterspuren auf. Bis heute ist unklar, wie Islam ums Leben kam. Manche gehen davon aus, dass der Gewerkschafter umgebracht wurde, weil er mit seiner kritischen Arbeit nach der Meinung bestimmter Leute dem Ansehen Bangladeschs schadete.
Hart umkämpfter Markt
Bangladesch ist einer der größten Textilhersteller der Welt - Kleider und Wäsche machen um die 80 Prozent des Exports aus - der Wert beläuft sich auf jährlich 20 Milliarden US-Dollar. Die Textil-Industrie ist auch eng verwoben mit der Politik: Arbeiterproteste werden oft unterdrückt, Aktivisten und Gewerkschafter bedroht. Weil mächtige Interessen hinter der Branche stehen, riskieren es nur wenige, die Missstände in der Industrie publik zu machen.
Kleider müssen billig sein, wenn sie auf dem hart umkämpften Markt eine Chance haben wollen. Doch dies hat seinen Preis: Die Gehälter in der Textilbranche sind schlecht. Der Mindestlohn für die klassische Frauenarbeit liegt in Bangladesch bei 37 US-Dollar im Monat. Auch die Arbeitszeit in den Textil-Fabriken seien manchmal sehr lang - bis zu 14 Stunden, sagt Rumi Momtaz, Landeskoordinator für die "Kindernothilfe" in Bangladesch.
Auch die Sicherheit für die Arbeitskräfte darf nicht viel kosten. In vielen Fabriken fehlt es selbst an einfachen Brandschutzvorkehrungen wie Feuerlöschern. Sprinkler-Anlagen sind unbekannt, Notausgänge oft versperrt: entweder, weil der Platz anderweitig benötigt wird, oder damit die Belegschaft während der Schicht nicht den Arbeitsplatz verlässt.
Tausende protestieren
"Das Ganze wäre mit ernsthaften Brandschutzmaßnahmen vermeidbar gewesen", meint Gisela Burckhardt von der Kampagne für saubere Kleidung. Die Organisation setzt sich dafür ein, dass alle Unternehmer des Textilsektors ein Brandschutzabkommen unterschreiben. Die Maßnahmen der Unternehmen alleine führten nicht dazu, "solche schrecklichen Brände zu vermeiden", meint Burckhardt. C&A hat das Abkommen nicht unterzeichnet. Das Unternehmen sprach den Familien der Opfer nach dem Brand ihr Mitgefühl aus. Angehörige und Opfer seien in "den Gedanken und Gebeten" der Firmenleitung.
Der Brand am Samstag und ein weiterer am Montag, bei dem mehrere Arbeiter verletzt wurden, seien ein weiteres entsetzliches Beispiel dafür, dass die von westlichen "Unternehmen gepriesenen Kontrollverfahren nur geeignet sind, um die Nachhaltigkeitsberichte dieser Unternehmen zu schönen", kritisierte Johann Rösch, Textileinzelhandelsexperte bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di.
Deutsche und internationale Gewerkschaften fordern, dass Bangladeschs Regierung starke Arbeitsvertreterorganisationen zulassen müsse. Nur so könne der ruinöse Wettbewerb auf Kosten von Bandschutz und Gebäudesicherheit gestoppt werden, erklärte die "IndustriALL Global Union" in Genf, die 50 Millionen Arbeiter in 140 Ländern vertritt.
Davon scheint Bangladesch noch weit entfernt zu sein, wie der Tod Aminul Islams zeigt. Doch die Brände haben die Menschen auf die Straße getrieben. Am Montag protestierten Tausende gegen die schlechten Arbeitsbedingungen, viele Fabriken blieben geschlossen.
Kritik an Textilindustrie nach Bränden von Bangladesh
Nähen für 37 Dollar im Monat
Zwei brennende Fabriken mit mehr als 110 Toten bringen die Textilproduktion in Bangladesch in die Schlagzeilen. Doch sie sind nur die Spitze des Eisbergs. Mangelnde Sicherheit und Ausbeutung sind der Alltag eines Systems, das Sabine Fehrenschild vom "Institut für Ökonomie und Ökumene Südwind" im domradio.de-Interview beschreibt.
Share on