Austrittsgedanken von Kirchenmitgliedern

„Sie lieben doch nicht den Chorleiter!“

Die Zahlen der MDG-Studie sind alarmierend. Demnach haben 41 Prozent der Katholiken in Deutschland schon über den Austritt aus der Kirche nachgedacht. DOMRADIO.DE Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen weiß, dass nun gehandelt werden muss. Nur gemeinsam können die Faktoren verändert werden, die zu diesem Unmut geführt haben.

 (DR)

Nehmen wir einmal an, Sie wären Leiter eines Chores mit 100 Sängerinnen und Sängern. Ihr Chor wäre ein wenig in die Jahre gekommen. Zu den regelmäßigen Proben kämen bevorzugt die Älteren. In den letzten Jahren hätten mehr Mitglieder den Chor verlassen, als dass neue dazu gekommen wären. Sie geben eine teure Studie bei einem renommierten Institut in Auftrag, um herauszufinden, wie es um die Stimmung in Ihrer Sangesgruppe steht. Dabei kommt heraus, dass 41 Sänger schon einmal ernsthaft darüber nachgedacht haben, den Chor zu verlassen. Sieben von ihnen haben sogar feste Austrittsabsichten. Die anderen zögern noch ein wenig – schließlich hat schon die Oma im Chor gesungen, und irgendwie liebt man die Geselligkeit und den Gesang.

Darf ich davon ausgehen, dass bei Ihnen als verantwortlicher Leiter spätestens jetzt alle Alarmglocken läuten? Die Zahlen Ihres Chores dürfen Sie eins zu eins auf die katholische Kirche übertragen. Sie sind repräsentativ für ganz Deutschland. Nur noch ganze 16 Prozent der Katholiken sind kirchennah und fest angebunden. Die größte Gruppe, fast die Hälfte der Gläubigen, bildet die Menge der „kritisch Verbundenen“. Zwei Drittel der Befragten glauben noch an Gott, der sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat. Der Kirche selber aber steht die Mehrheit der katholischen Gläubigen sehr differenziert und kritisch gegenüber. Besonders kritisiert werden eine kirchliche Doppelmoral, bei der Predigt und Handeln nicht im Einklang stehen, sowie das wenig zeitgemäße Frauenbild. Jeder, der sein Ohr an der kirchlichen Basis hat oder sich vor Ort in der Gemeinde engagiert, hätte das vermutlich auch ohne wissenschaftliche Studie aus dem Bauch heraus gewusst. Jetzt hat man es teuer bezahlt und auf über 200 Seiten Schwarz auf Weiß gut zusammengefasst. Und nun?

Darf ich noch einmal auf Ihren vertrauten Chor zurückkommen? Vermutlich sind Sie kein verantwortlicher Leiter, wenn Sie diese Zeilen lesen. Aber vielleicht gehören Sie zu den 59 Sängerinnen und Sängern, die in jedem Fall im Chor bleiben möchten. Sie lieben primär den Gesang – nicht den Chorleiter. Sie fühlen sich wohl in der Gemeinschaft. Jetzt liegt es also an Ihnen! Bedauern Sie sich nicht selbst, oder jammern über die, die oben irgendwo Verantwortung tragen und vielleicht selber gerade nicht genau wissen, wohin die musikalische Reise gehen soll. Das hilft Ihrem Chor wenig, und Ihnen geht dabei die Freude am Gesang verloren. Gehen Sie selber auf die 41 Wackelkandidaten zu – ermutigen Sie diese zum Bleiben! Ändern Sie gemeinsam die Dinge, die Ihnen die Freude am Gesang vermiesen. Sorgen Sie für eine neue Aufbruchstimmung! Nur wenn Sie selber eine begeisterte Sängerin oder ein stimmstarker Sänger sind, werden Sie andere mitreißen. Ich stimme oft schon am frühen Morgen unter der Dusche den Lobgesang der Kinder Gottes an. Nicht immer fromm, mal unausgeschlafen und vielleicht auch schief, dafür aber immer laut und meistens frohgemut. Früher oder später nimmt einer im Haus die Melodie auf oder summt zumindest leise am Frühstückstisch vor sich hin. Die Freude am Gesang und die Liebe des Lebens sind nämlich höchst ansteckend.



Ihr
Ingo Brüggenjürgen
Chefredakteur

PS: „Wenn ich singe, dann nur in der Kirche, aber eher laut und falsch!“, hat der Vorsitzende der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, Ralph Brinkhaus, in dieser Woche verraten. Brinkhaus kommt wie ich aus Rheda- Wiedenbrück. Dass der Gemeindegesang in der dortigen Sonntagsmesse schief und falsch sein soll, ist nur ein böses Gerücht. Meistens ist er laut – und dank der vielen Frauenstimmen auch richtig!