Haben Sie das Foto auch in Ihrer Zeitung gesehen? Ein Gruppenfoto aus einer katholischen Kita, quasi als nette Erinnerung für das Leben. Der in diesem Fall tiefschwarze Haken bei der Sache: Bis auf ein Gesicht waren alle anderen Kindergesichter geschwärzt - unkenntlich gemacht. Eltern und Kinder rieben sich verwundert die Augen. Ein Erinnerungsbuch für das spätere Leben - aber nur das eigene Kind ist zu erkennen? Die Verantwortlichen wollten den Anforderungen der neuen Datenschutzverordnung Genüge tun. Es lag zwar eine alte Fotogenehmigung aller Eltern vor, aber ob damit alle Erfordernisse des neuen Datenschutzes berücksichtigt waren? Also ging man, das ist selbst in höchsten katholischen Kreisen oft angesagt, auf Nummer sicher. Auch wenn der eigene gesunde Menschenverstand hier natürlich zuerst ausgeschaltet werden musste. Recht ist Recht und muss Recht blieben - wo kommen wir denn sonst hin?
Wir sind immer schon in Teufels Küche, wenn wir nicht selber bereit sind, für unser Tun und Handeln Verantwortung zu übernehmen. Alles auf irgendwelche Vorschriften oder Andere - meistens „auf die da oben“ abwälzen mag formal richtig, gut bürgerlich und juristisch hundertprozentig korrekt sein - und ist doch gleichzeitig so falsch wie es nur sein kann. Denn selbst wenn wir formal auf der richtigen Seite sind, können wir in die Irre laufen! Doch wer hilft mir bei Entscheidungen - zumal wenn nachher garantiert immer irgendein Besserwisser um die Ecke kommt und mir meine falsche Entscheidung um die Ohren haut? Mir hilft mein Gewissen und ich hoffe, bisweilen auch das nötige Bauchgefühl. Möglichst oft hoffentlich auch der gesunde Menschenverstand. „Lebe wild und gefährlich!“, stand mal auf meinem jugendlichen Merkzettel. Ich habe es leider nie geschafft wild und gefährlich zu leben - sonst wäre ich nicht bei Mutter Kirche gelandet. Aber wenigsten hin und wieder ist es mir ganz egal ob das jetzt formal falsch ist. Mein ganzes Leben lässt sich nicht nur nach den Buchstaben des bürgerlichen oder kirchlichen Rechts leben. Sogar der liebe Gott schreibt bekanntlich auf den krummen Zeilen gerade. Im Zweifelsfall nenne ich das dann immer den „vorrauseilenden Gehorsam“.
Gerade in der Kirche, in der oft alle Wege erst über Rom führen, ist dieser vorrauseilende Gehorsam mir zu einem guten Begleiter geworden. Meine Entscheidungen aber sind niemals willkürlich - sondern sorgfältige abgewogen und haben vor meine Gewissen bestand. Wie mein letzter Richter das am Ende beurteilen wird, weiß ich natürlich auch nicht. Aber ich vertraue in tiefster Gewissheit auf einen barmherzigen Gott, der wenn es nötig ist, auch mal beide Augen zukneifen kann. Einen Gott, der mir sein wahres hoffentlich ungeschwärztes Gesicht zeigt und dann gütig lächelt. Über all unsere gutgemeinten Gebote und Gesetze einfach hinweglächelt. Lächelt, über alle 100 prozentigen Gesetzestreuen, die wahrhaft Gerechten und besorgten Schwarzmaler. Aber hoffentlich auch über diejenigen, die Fehler machen - die mal Fünf gerade sein lassen und besonders auch über all meine vielen gutgemeinten Fehler.
Ihr
Ingo Brüggenjürgen
Chefredakteur