Weihbischof Krätzl erinnert sich an das Zweite Vatikanische Konzil

Ungenutztes Potenzial

Als junger Mann hat Weihbischof Krätzl den Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils in Rom miterlebt. 50 Jahre ist es her, doch im domradio.de-Interview zeigt er sich tief beeindruckt, an diesem Ereignis teilgenommen zu haben. Das Konzil sei in seinen Auswirkungen nicht zu Ende, es berge noch viel Potenzial, urteilt er.

Weihbischof em. Krätzl (KNA)
Weihbischof em. Krätzl / ( KNA )

domradio.de: Sie haben das Konzil miterlebt. Heute vor 50 Jahren auch die Eröffnung. Was ist Ihre stärkste Erinnerung daran?

Weihbischof Krätzl:  Meine stärkste Erinnerung ist der Papst selber. Ich habe damals ein Zusatzstudium in Rom gemacht für Kirchenrecht im Auftrag von Kardinal König und wir haben diesen Papst erlebt, der mit einer Unbekümmertheit und einer Zuversicht sondergleichen sich gegen die Kurie auch gewehrt hat und ein Konzil ausgerufen hat, das einen Sprung vorwärts machen sollte. Er hat die Zeit erkannt und er wollte die Kirche fit machen für jene Ereignisse, die sich dann in den 60er Jahren bis ins Jahr 68 dann zugespitzt haben. Er hat gespürt, die Kirche muss ins heute kommen, ein "Aggiornamento" wie er das genannt hat.



domradio.de: Damals wurde ja viel diskutiert und Einiges beschlossen. Was war Ihnen das Wichtigste?

Weihbischof Krätzl: Das Wichtigste war wohl, dass sich die Kirche nach Innen und nach Außen neu beschrieben hat. Nach Innen neu, dass sie sich nicht mehr so streng hierarchisch gesehen hat, sondern als Volk Gottes beschrieben hat und wieder den schönen Begriff vom gemeinsamen Priestertum verwendet hat, so dass jeder Getaufte durch die Taufweihe in dieser Kirche seinen Platz, seine Mitverantwortung hat und damit aber auch die Bischöfe der ganzen Welt eigentlich durch ihre Weihe in das Bischofskollegium aufgenommen eine Mitverantwortung mit dem Papst haben und er nicht mehr nur allein. Das zweite,  war sicherlich die Liturgieerneuerung. Das Konzil sieht, dass die Liturgie wirklich das Herzstück der Kirche überhaupt ist und auch des christlichen Lebens und will nun, dass diese Liturgie eine Liturgie des Volkes Gottes ist mit einer tätigen Teilnahme.



Und nach Außen waren das natürlich die großen Schritte einer beginnenden Ökumene. Das war das große Anliegen des Papstes. Er soll auch mit diesen Worten gestorben sein, dass wir doch alle eins seien. Die Öffnung zu den anderen Religionen. Der ganz, ganz große Schritt der endlichen Versöhnung mit dem Judentum nach einer so furchtbar entsetzlichen Geschichte der Feindschaft zwischen Christen und Juden, dann auch die Erklärung der Religionsfreiheit, dass jeder Mensch nach seinem Gewissen hier doch entscheiden kann, welcher Religion er angehört und dieses Recht soll er auch haben es zu leben.



domradio.de: Jetzt hat Benedikt XVI. zum Konzilsjubiläum gesagt, man habe damals keine neue Kirche und keinen anderen Glauben schaffen wollen, es war das Ziel, die Kirche lediglich tiefer zu verstehen und so wahrhaft erneuern zu wollen. Sehen Sie das genauso?

Weihbischof Krätzl: Der jetzige Papst hat gesagt, man soll das Konzil rückblickend durch eine Brille sehen in Hinblick auf Kontinuität und Reform, sagt er ausdrücklich. Also eine Kontinuität, die auch auf Veränderung aus ist. Leider glaube ich, dass in manchen Kreisen, nicht zuletzt in kurialen Kreisen, dieses eine Glas in der Brille mit der Reform eher verklebt ist und man es nur auf der Kontinuität sieht. Es ist aber sicher nicht richtig, wenn man die Konzilstexte anschaut und vergleicht mit dem, was die Päpste vorher gesagt haben, dann ist es nicht nur Kontinuität, sondern wirklich eine weitere Entwicklung und da soll natürlich die Weiterentwicklung auch zu einer Vertiefung führen, aber das darf man nicht gegenseitig ausspielen.



domradio.de: Ihr Buch zum großen Konzilsjubiläum heißt "Das Konzil - ein Sprung vorwärts". War es ein mutiger ein gewagter, ein gelungener Sprung vorwärts?

Weihbischof Krätzl: Also meine Generation - ich bin ja 1931 geboren - wir haben ja die Kirche vor dem Konzil erlebt und sind heute ganz ganz dankbar, dass dieses Konzil einen großen Sprung vorwärts gemacht hat. Was wir aber wie viele bedauern, ist, dass dieser Sprung eigentlich nicht weit genug gegangen ist. Ich habe vor vielen Jahren mal ein Buch geschrieben "Im Sprung gehemmt" und das müsste man heute auch erwähnen. Ich sehe das heute aber so positiv, dass ich sage, der Rückblick auf das Konzil legt uns klar, wieviel vom Potenzial des Konzils noch da ist, das endlich gefördert werden sollte und zur Wirksamkeit kommt. Das Konzil ist längst nicht zu Ende in seinen Auswirkungen und die Bremsen aus Angst vor einer neuen Begegnung mit einer Welt, die immer glaubensloser wird, wie man pessimistisch sagt, zwingt uns da und dort vielleicht in die sakralen Räume wieder zurück und das ist ganz falsch. Wir müssen zuversichtlich wie der Papst damals uns der Zeit stellen, weil die Kirche der Welt einen ganz besonderen Dienst zu leisten hat.



Das Interview führte Susanne Becker-Huberti (domradio.de)





Hintergrund

Als Stenograph war der emeritierte Weihbischof der Erzdiözese Wien, Helmut Krätzl, beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) im Petersdom mit dabei, als die Bischöfe aus der ganzen Welt diskutierten und die Weichen für die Kirche neu stellten. "Das Konzil - ein Sprung vorwärts" heißt sein Buch, es ist im Tyrolia-Verlag erschienen und kostet 17,95 Euro.