Prominente Katholiken erinnern sich an das Konzil

"Ein neues Verstehen"

Bald jährt sich der Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils zum 50. Mal. Das Treffen im Vatikan zählt zu den bedeutendsten kirchlichen Ereignissen des 20. Jahrhunderts. Doch haben das die Katholiken damals überhaupt so wahrgenommen? Eine Umfrage.

 (DR)

Eine "neue Nähe zu Gott" verbindet Rita Süssmuth (CDU) bis heute mit dem Konzil. In ihrer Kindheit habe stets der strafende Gott im Mittelpunkt gestanden. Mit dem Konzil aber sei der Retter in den Blick gerückt; Gott, der keinen Menschen verloren gehen lässt, wie es in einem Konzilsdokument heißt. "Da kam eine ganz neue Mentalität auf", so die frühere Bundestagspräsidentin. Besonders aufgefallen sei ihr diese neue Offenheit später im Umgang mit HIV-Patienten, die man plötzlich nicht mehr wie Aussätzige behandelt habe. Auch die Liturgiereform habe sie sehr beeindruckt, erzählt Süßmuth. Es sei bewegend gewesen, als erstmals Laien im Altarraum standen, die Fürbitten vortrugen oder die Kommunion verteilten. "Plötzlich war die Messe nicht mehr etwas Abgehobenes, sondern etwas, das verbindet." Es habe "ein neues Verstehen" gegeben, das über den Gebrauch der Volkssprache hinausging.



"Mit atemloser Spannung" habe die katholische Minderheit in der DDR die Berichte vom Konzil verfolgt, berichtet Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD). Die DDR-Medien hätten das kirchliche Großereignis zwar ignoriert. "Aber wir haben natürlich Westfernsehen und Westradio gehört und alles aufgesogen, was da über das Konzil berichtet wurde." Als Mitglied der Katholischen Studentengemeinde in Ost-Berlin habe er später auch Gelegenheit gehabt, Konzilstheologen wie Mario von Galli oder Karl Rahner persönlich kennenzulernen. "Wir waren da sehr privilegiert", so der SPD-Politiker. Besonders spannend sei für die Katholiken in der DDR gewesen, sich einmal als Teil der Weltkirche erfahren zu können. Die Reformen des Konzils, die Stärkung der Laien, die zentralen Aussagen über Religionsfreiheit und Toleranz seien daher auch mit "begeisterter Zustimmung" aufgenommen worden.



Hans Maier (CSU) wiederum hat die Liturgiereform nicht wirklich als Bruch erfahren. Schon in den 1930er Jahren habe die katholische Jugend in seiner Heimatstadt Freiburg "Gemeinschaftsmessen" organisiert, bei denen das gemeinsame Gebet in der Volkssprache eine zentrale Rolle spielte, erzählt der langjährige Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken. Rückwirkend sieht Maier in der Liturgiereform "Gewinn und Verlust". Natürlich sei die aktive Teilnahme des Gottesvolkes ein großer Fortschritt gewesen. "Aber warum musste die Kanzel zum Museumsstück degradiert werden?" Auch die radikale Verknappung des Stufengebets, jenes "Gesprächs zwischen dem Priester und den Ministranten", habe er bedauert. Und dass man das Lateinische zunächst gänzlich aus den Kirchen verbannte, hält Maier für eine unnötige Überreaktion. Auch ansonsten erinnert sich der frühere bayerische Kultusminister noch lebhaft an die Zeit des Konzils, das als ein einschneidendes Ereignis wahrgenommen worden sei. Am Eröffnungstag habe es in Bayern sogar schulfrei gegeben. 1965 schließlich hatte Maier die Chance, in der Konzilsaula in Rom eine Debatte über die Religionsfreiheit zu erleben. In der "Abkehr von der Auffassung, dass dem Irrtum keine Freiheit zukommt", sieht Maier bis heute eine der folgenreichsten Entscheidungen des Konzils. An der Debatte selbst habe ihn vor allem die Diskussionskultur fasziniert. "Wie in einem Parlament" sei in "manchmal gut, manchmal schlecht verständlichem Latein" offen und kontrovers debattiert wurden. Die Kirche heute erlebe er hingegen als konfliktscheu.



Die erstmalige lehramtliche Anerkennung von Religionsfreiheit, Menschenrechten und Demokratie in der dogmatischen Konstitution "Gaudium et spes" hat auch Hans-Jochen Vogel (SPD) stark beeindruckt. Als Münchner Oberbürgermeister habe er damals die Medienberichte vom Konzil aufmerksam verfolgt. Was die Liturgiereform betrifft, habe ihn vor allem die Tatsache berührt, dass der Priester die Messe nun mit dem Gesicht zur Gemeinde zelebrierte. "Das war für mich ein sichtbares Zeichen der stärkeren Anerkennung der Laien", sagt Vogel rückblickend. Der Übergang vom Lateinischen zum Deutschen habe ihm keinerlei Schwierigkeiten bereitet. "Man konnte die neuen Antworten schnell auswendig."