Kardinal Arborelius sieht Zukunft der Kirche nicht in Machtposition

"Nicht verzweifeln, sondern hoffen"

Die Kirche in Europa insgesamt könne viel von der Situation in Diaspora-Gebieten lernen, sagt Kardinal Anders Arborelius. Er sieht die Zukunft der Kirche in einer demütigen Position und erklärt, warum eigentlich alle Kirchenmitglieder in einer Diaspora leben.

Kardinal Anders Arborelius / © Marion Sendker (DR)
Kardinal Anders Arborelius / © Marion Sendker ( DR )

DOMRADIO.DE: Sie selbst sind es als katholischer Kirchenmann gewohnt, als Vertreter einer kleinen Minderheit zu sprechen und zu handeln. In diesem Sommer waren Sie als Apostolischer Visitator hier im Erzbistum und haben viel von der Unzufriedenheit der Kölner Katholiken mit ihrer Kirche mitbekommen. Haben Sie eine Botschaft an diejenigen, die im Moment regelrecht an ihrer Kirche verzweifeln?

Lars Anders Kardinal Arborelius (Bischof von Stockholm): Ich denke, dass es eine große und wichtige Zeit für die Kirche ist, um kleiner, demütiger zu werden und mehr mit dem Evangelium verbunden zu sein. Wir sehen, dass die Welt in vieler Hinsicht die Hoffnung verloren hat, die Krise, zum Beispiel die Corona-Pandemie, machen uns wirklich besorgt. Aber es ist auch so: Wenn die Situation schwierig ist, werden wir selber leiden, dann müssen wir uns mehr für die Botschaft des Evangeliums öffnen. Verzweiflung ist keine Lösung, sondern Hoffnung. Und ich denke, dass wir in so einer Zeit wirklich die Möglichkeit haben, uns mehr für Christus zu öffnen.

Wir sehen, dass wir Menschen nicht alles schaffen können. Wir sehen das in Bezug auf die Weltpolitik, aufs Klima und so weiter. Und darum ist es so wichtig, dass wir uns mehr und mehr für Christus, für das Evangelium öffnen und sehen: Das können wir in unserer persönlichen Situation tun, um Menschen rundum zu helfen, um die Menschen zu trösten, um Hilfe zu geben an Menschen in unserer Umgebung. Also nicht verzweifeln, sondern hoffen.

DOMRADIO.DE: Können Katholiken in Deutschland etwas von ihren Glaubensgeschwistern in der Diaspora lernen?

Arborelius: Wir wollen ja keine Lehrmeister sein. Aber wir sind es mehr gewohnt, klein, demütig und ein bisschen vergessen zu sein. Bei uns ist die Kirche und sind auch die anderen Kirchengemeinschaften kleiner in einer säkularen Welt und ich denke in Europa wird es so sein, dass wir als Kirche nicht mehr die Machtposition haben, sondern eine dienende, helfende und demütige Position. Und wir müssen uns damit zufriedenstellen, dass wir wie Christus nicht immer akzeptiert werden, dass wir auch seine demütigende und opfernde Haltung teilen müssen.

DOMRADIO.DE: Das Bonifatiuswerk sammelt am Wochenende wieder Spenden für die Kirchen in Diasporasituationen. Warum ist diese Solidarität so wichtig?

Arborelius: In unserer Zeit sehen wir, dass überall Menschen aus aller Welt zusammenleben, Katholiken, Nichtkatholiken, Christen und Nichtchristen. Und darum ist es so wichtig, dass wir diese universelle Solidarität pflegen, wie uns Papst Franziskus immer sagt, dass wir sehen, dass wir als Katholiken und Christen etwas für die anderen tun können, aber die anderen auch für uns. Diese grenzüberschreitende Solidarität mit allen Menschen guten Willens ist so wichtig. Und wir wissen, dass, zum Beispiel in Enzykliken, der Papst nicht nur zu den Gläubigen spricht, sondern zu allen Menschen guten Willens.

Das, denke ich, ist für uns sehr wichtig. Nicht nur hier in der Diaspora, sondern überall. Eigentlich sind wir alle in der Diaspora. Wir sind in dieser Welt als Pilger auf dem Weg zur Ewigkeit. Und wir müssen immer diese Diaspora- und Exilhaltung annehmen, als eine Botschaft und eine Aufgabe in der Welt: das Evangelium und die Liebe Christi zu verbreiten.

DOMRADIO.DE: "Werde Liebesbote!", das ist das Motto der Diasporaktion in diesem Jahr. Wie verstehen Sie das ganz persönlich?

Arborelius: Das ist ein schönes Wort und ich denke, dass es eine tägliche Aufgabe ist, zu sehen: Wie kann ich in meiner Umgebung, mit meiner Familie und meinen Freunden, aber auch mit anderen Menschen versuchen, die Liebe Christi weiterzugeben? Und darum müssen wir natürlich erst seine Liebe empfangen in Gebet und Offenheit von der Liebe Christi verwandelt werden, um sie weiterzugeben. Denn es ist ja die Liebe Christi, die wichtig ist, und als getaufte Mitglieder der Kirche haben wir daran Anteil. Nicht nur unsere persönliche, kleine und oft arme Liebe, sondern die Liebe Christi, die wir verwalten können und dann weitergeben. Täglich. Stündlich.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Quelle:
DR