Die Hälfte der Franzosen glaubt nicht mehr an Gott

Neue Umfragen sollen auch "missionarische Potenziale" belegen

Mehrere Umfragen werfen ein Schlaglicht auf die nachlassende Religiosität der Franzosen. Die Zahlen lassen Räume zur Interpretation: Ist das Glas halb voll oder halb leer in diesem Land mit so großer christlicher Tradition?

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Moderne Kirche in Frankreich / © Jean-Matthieu Gautier (KNA)
Moderne Kirche in Frankreich / © Jean-Matthieu Gautier ( KNA )

Bei Frankreichs führendem Meinungsforschungsinstitut Ifop brummt es dieser Tage. Gleich mehrere Umfragen zum Thema Religiosität der Franzosen wurden dort in Auftrag gegeben. Sie erbrachten Erwartbares, aber auch Überraschendes.

Zunächst dieses: Es wird immer weniger über Religion gesprochen. Und: Offener für das Thema zeigen sich eher Stadt- als Landbewohner - und die unter 35-Jährigen eher als deren Eltern. Die über 65-Jährigen bleiben dagegen die wichtigste Gruppen unter den Gläubigen.

"Glaubst du an Gott?" - Das Ja auf diese Frage ist erstmals überhaupt in der Minderheit. Von 1.018 repräsentativ Befragten über 18 Jahren glauben 49 Prozent an Gott - alle Religionen und Konfessionen zusammengenommen. 2011 waren es noch 56 und 1947 noch 66 Prozent.

Die Nachgeborenen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) und der 68er-Generation zeigen sich glaubenskritischer als die Älteren. Von den über 65-Jährigen sind noch 58 Prozent bei der Gottesfrage "dabei"; bei den 50- bis 64-Jährigen sind es laut Ifop 47 und bei den 35- bis 49-Jährigen 45 Prozent. Mehr auf der Suche nach Gott ist demnach noch die Altersgruppe zwischen 18 und 34 Jahren (48 Prozent). Immerhin: Von den praktizierenden Katholiken glauben 95 Prozent an Gott, dazu 62 Prozent der nicht praktizierenden; bei den Muslimen sind es 97 Prozent.

Aber: Die Umfrage zeigt auch, dass «daran glauben» und «darüber reden» nicht dasselbe ist. 52 Prozent der 18- bis 34-Jährigen glauben zwar nicht mehr an Gott; aber 53 Prozent sprechen mit der Familie darüber. Von der Gesamtheit der Franzosen tun das nur 38 Prozent; von den praktizierenden Katholiken 83 Prozent, von den Muslimen 72 Prozent und von den Protestanten 67 Prozent. Nie über Religion sprechen 30 Prozent.

Die Ermordung des Priesters Jacques Hamel im Sommer 2016 oder der Großbrand der Pariser Kathedrale Notre-Dame im Frühjahr 2019 ließen noch einmal größeres religiöses Empfinden im Land aufscheinen. Doch nicht mal die Hälfte der befragten praktizierenden Katholiken (48 Prozent) verspürten laut Umfrage nach dem Brand tatsächlich eine Erneuerung ihres Glaubensgefühls.

Allerdings: Auch wer von den Franzosen nicht mehr glaubt, erwartet oder erhofft von den Religionen großenteils, dass sie zum Nachdenken anregen, insbesondere über die Weitergabe positiver Werte an junge Menschen: Respekt für andere, Toleranz, Verantwortung. Das gaben 68 Prozent von allen sowie 83 Prozent der Katholiken an.

47 Prozent der Befragten halten die Botschaft und Werte des Christentums nach wie vor für aktuell. Insbesondere im bürgerlich-konservativen Lager (66 Prozent) wird bejaht, dass Religionen einen positiven Beitrag zu den großen gesellschaftlichen Debatten wie Bioethik, Moral in der Wirtschaft oder Familienpolitik leisten könnten. Weniger differenziert: 54 Prozent der Befragten stimmten zu, dass "alle Religionen gleich" seien.

Papst Franziskus schneidet in der Ifop-Umfrage deutlich schlechter ab als noch im April 2016. Hatten damals noch 64 Prozent aller Befragten angegeben, dass er die Werte des Katholizismus «eher gut» verteidigt, waren es nun nur noch 41 Prozent; bei den praktizierenden Katholiken immerhin noch 72 Prozent.

Neben dieser Ifop-Befragung zum 100-jährigen Bestehen des Verbands der Journalisten für religiöse Informationen (AJIR) waren dieser Tage zwei weitere erschienen, beauftragt für die erste Ausgabe eines neuen theologischen Magazins namens "Mission". Trotz stark nachlassender Religiosität bescheinigen diese den Franzosen noch immer missionarisches Potenzial.

Demnach misstrauten zwar gut zwei Drittel (71 Prozent) Christen, die sie aktiv auf ihren Glauben ansprächen. Die übrigen 29 Prozent erklärten sich dagegen für religiös ansprechbar. Das sei "immerhin noch ein Reservoir von etwa 15 Millionen Menschen", lobt Ifop-Direktor Jerome Fourquet. Die Hälfte der Befragten (51 Prozent) gab an, weder "auf spiritueller Suche" zu sein noch sich nach "dem Sinn des Lebens" oder einem "Leben nach dem Tod" zu fragen.

Eine weitere Untersuchung befragte die Gruppe der christlichen Missionierenden selbst. Fourquet analysiert sie als eine vorwiegend "junge Elite, gebildet, urban, weitestgehend aus katholischen Familien". 95 Prozent dieser extrovertierten Christen gaben an, dass sie "Nichtgläubigen Christus verkünden", zumindest "gelegentlich" oder "so oft wie möglich".

Zentrales Motiv dafür ist laut Analyse weniger, "der Ausbreitung des Islam" entgegenzuwirken (2 Prozent der Befragten); auch nicht, dass die Kirchen leer seien (3 Prozent), sondern "Liebe zu Gott" (55 Prozent) und weil «die Menschen ohne Christus unglücklich» seien (40 Prozent). Mehr als 60 Prozent dieser christlichen Missionare gaben an, dass sie bereit seien, auch auf der Straße oder am Strand zu evangelisieren.

Diese Gruppe blickt laut Umfrage entschieden optimistisch in die "Zukunft des Glaubens in Frankreich". Fast drei von vier äußerten sich diesbezüglich "hoffnungsvoll", jeder achte "zuversichtlich". "Besorgt" äußerten sich 14 Prozent; die Antwort "verzweifelt" wählte keiner der Befragten.


Kathedrale Notre-Dame de Paris am 19. September 2021 / © Corinne Simon (KNA)
Kathedrale Notre-Dame de Paris am 19. September 2021 / © Corinne Simon ( KNA )

Klosterkirche von Cluny / © Alexander Brüggemann (KNA)
Klosterkirche von Cluny / © Alexander Brüggemann ( KNA )
Quelle:
KNA
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