Neue Sterbehilfe-Debatte in Italien

Bischöfe sind besorgt

In Italien bahnt sich ein Referendum über die Freigabe der aktiven Sterbehilfe an. Die Kirche warnt eindringlich vor einer "Entscheidung für den Tod". Doch ihre Bedenken finden immer weniger Gehör.

Autor/in:
Alexander Pitz
Tabletten in der Hand / © funnyangel (shutterstock)

Es geht buchstäblich um Leben und Tod. Verzweifelt versucht die katholische Kirche, eine weitere Lockerung der Sterbehilferegeln in Italien zu verhindern. Doch allem Anschein nach kämpfen die Bischöfe auf verlorenem Posten. Nun mussten sie erneut einen schweren Rückschlag verkraften: Der Bürgerrechtsorganisation Associazione Luca Coscioni ist es innerhalb weniger Wochen gelungen, mehr als 500.000 Unterschriften gegen Artikel 579 des italienischen Strafgesetzbuchs zu sammeln. Der sieht für aktive Sterbehilfe ("Tötung auf Verlangen") eine Freiheitsstrafe von sechs bis fünfzehn Jahren vor.

Voraussichtlicher Volksentscheid 2022

Sollten die gesammelten Unterschriften tatsächlich gültig sein, wäre die Hürde für ein Referendum überschritten. Dann käme es voraussichtlich 2022 zu einem Volksentscheid, der die bisherige Strafvorschrift zu Fall bringen könnte. Aus Sicht der Bischofskonferenz eine Horrorvorstellung. Am Mittwoch veröffentlichte sie in "großer Sorge" eine eindringliche Stellungnahme.

"Wer sich in einem Zustand extremen Leidens befindet, dem sollte geholfen werden, den Schmerz zu bewältigen, Angst und Verzweiflung zu überwinden", heißt es in dem Schreiben. Keinesfalls dürfe es darum gehen, "Leben zu vernichten". Nach Ansicht der Bischöfe wäre die "Entscheidung für den Tod" eine "Niederlage" des Menschen - und der Sieg eines "individualistischen, nihilistischen" Konzepts. Ziel der Kirche müsse es sein, mit klaren Worten auf den Schutz der Menschenwürde zu dringen.

Influencerin Chiara Ferragni rief zur Unterschrift auf

In der öffentlichen Wahrnehmung indes dringen die kirchlichen Appelle immer weniger durch. Das liegt nicht zuletzt an den neuen Medien, wo sich einflussreiche Protagonisten für eine radikale Liberalisierung einsetzen. Zu ihnen gehört die in Italien äußerst populäre Influencerin und Modebloggerin Chiara Ferragni. Die fotogene 34-Jährige, die gewöhnlich für Haarglätteisen und ähnliche Produkte wirbt, hat sich jüngst ein neues Betätigungsfeld ausgesucht. "Unterschreibt!", forderte sie ihre Follower unverhohlen auf und verlinkte die aktuelle Sterbehilfe-Initiative. Tausende Menschen folgten ihrem Aufruf.

Die Kirche kann dem kaum etwas entgegensetzen. Zum Vergleich: Allein auf Instagram hat Ferragni fast 25 Millionen Follower. Die Italienische Bischofskonferenz kommt mit Twitter, Instagram und Facebook zusammen nicht einmal auf 200.000 - ein ungleicher Kampf.

Auch ansonsten finden sich wenig Unterstützer, die den ethisch-moralischen Bedenken Gehör schenken. Eher im Gegenteil. Gesundheitsminister Roberto Speranza geht zwar nicht so weit wie die neue Initiative, setzt sich aber für eine Lockerung der Suizidbeihilfe (Strafrechtsartikel 580) ein.

Offener Brief eines Schwerkranken

Hintergrund ist ein Urteil des Verfassungsgerichts von 2019. Damals stellten die Richter fest, dass es unter bestimmen Umständen straffrei sei, die Ausführung eines frei gebildeten Suizidvorsatzes zu erleichtern. Das Parlament wurde aufgefordert, eine genauere gesetzliche Regelung zu entwerfen. Mit diesem Ansatz will Speranza jetzt eine Vereinbarung mit den italienischen Regionen auf den Weg bringen. Sein Ziel ist eine rechtliche "Garantie" für medizinisch assistierten Suizid in bestimmten Fällen.

"Ich persönlich bin seit langem von der Notwendigkeit und Dringlichkeit einer gesetzgeberischen Maßnahme in dieser Angelegenheit überzeugt", sagte der Politiker. Das italienische Strafrecht sah für Anstiftung und Beihilfe zum Suizid bis zu dem wegweisenden Richterspruch fünf bis zwölf Jahre Freiheitsentzug vor. Neu aufgeflammt ist die Debatte überdies durch den vielbeachteten offenen Brief eines schwer kranken 43-Jährigen. Der Italiener, der infolge eines Verkehrsunfalls seit zehn Jahren bettlägerig ist, bat den Gesundheitsminister: "Ich möchte in Würde sterben, bitte lassen Sie mich jetzt gehen."

Mit einer Reform der Beihilfe-Regel wollen sich die Organisatoren der Unterschriftenkampagne "Liberi fino alla fine" (Frei bis zum Ende) allerdings nicht zufriedengeben. Sie pochen weiter auf eine Straffreiheit auch für die aktive Sterbehilfe. "Wir wollen mindestens 750.000 Unterschriften sammeln, um das Ergebnis gegen Fehler, Verzögerungen der öffentlichen Verwaltung oder andere rechtliche Schwierigkeiten abzusichern", teilte die Associazione Luca Coscioni mit. Der inzwischen gestorbene Gründer Coscioni war ein bekannter Politiker, der an der gleichen unheilbaren Nervenkrankheit (ALS) wie der britische Physiker Stephen Hawking litt.

Nach dem Stichtag am 30. September wird der Kassationsgerichtshof darüber entscheiden, ob die Voraussetzungen für ein Referendum erfüllt sind.