Hexenwahn als akutes Problem und nicht als Aberglaube

"Das sind ganz grausame Geschichten"

Hexenwahn ist nicht nur ein Aberglaube, der aus früheren Zeiten herrührt. Es ist in der heutigen Gesellschaft ein akutes Problem. Der vom katholischen Hilfswerk missio ausgerufene internationale Tag gegen Hexenwahn soll auf die Situation aufmerksam machen.

Symbolbild: Brennende Fackel / © cosma (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Der Glaube, dass Hexen unter uns sind, ist in vielen Regionen noch lebendig. In 36 Ländern der Welt werden heute noch Menschen diskriminiert, als Hexen verfolgt und auch oft getötet. Deshalb hat das katholische Hilfswerk missio im vergangenen Jahr den 10. August zum Internationalen Tag gegen Hexenwahn ausgerufen. Gab es irgendwo auf der Welt eine Entwicklung, von der Sie sagen würden, dass dieser Tag jetzt schon bei der Aufklärung geholfen hat?

Jörg Nowak (Pressestelle missio Aachen): Ich habe mich heute Morgen noch mit Schwester Lorena in Papua-Neuguinea ausgetauscht, weil sie auch den internationalen Tag für Veranstaltungen vor Ort nutzt. Sie hat mir auch noch ein kleines Video geschickt, wo man gesehen hat, dass sich Menschen versammelt haben, um einer Veranstaltung zu diesem Thema zuzuhören und wo die Menschen sensibilisiert werden.

Ich habe noch die Bilder in Erinnerung, wo sich Menschen versammeln vor einem Scheiterhaufen, um sozusagen als Gaffer zuzuschauen, wenn Menschen gefoltert werden. Ich glaube, da gibt es eine positive Entwicklung, es gibt ein größeres Bewusstsein. Das Problem ist immer noch sehr groß, aber wir haben festgestellt, dass besonders seit dem symbolischen Akt des internationalen Tages gegen Hexenwahn, eine Menge angestoßen wurde und dass wir jetzt mit aller Kraft gegen diese Menschenrechtsverletzungen vorgehen müssen.

DOMRADIO.DE: Wie können wir uns denn Hexenverfolgung im 21. Jahrhundert vorstellen?

Nowak: Das Feuer spielt offensichtlich eine ganz wichtige Rolle bei diesen sogenannten Hexenprozessen. Und eben auch solche sogenannten Scheiterhaufen, die dann ein wenig improvisiert zusammengestellt werden. Ich bin vor einigen Jahren, als ich zuletzt in Papua-Neuguinea war, im wahrsten Sinne des Wortes in einen Hexenprozess geraten. Wir haben Frauen getroffen, die uns erzählt haben, was schon am Vortag passiert ist. Und absurderweise haben diese Frauen gezeigt, wie sie Wellblech geholt, darunter Autoreifen angezündet haben und was mit der gefolterten Frau passiert ist. Das hat mich persönlich schockiert, dass Frauen mir beschrieben haben, was am Vortag dieser angeblichen Hexe angetan wurde.

Es gibt dort dann, ähnlich wie wir das aus Deutschland aus der Geschichte kennen, diese Scheiterhaufen, wo die Menschen gequält und gefoltert wurden. Jetzt wird in Ländern wie Papua Neuguinea das Feuer mit Autoreifen angefacht. Es werden Buschmesser ins Feuer gehalten. Das sind alles ganz grausame Geschichten. Das einzige, was sozusagen hoffnungsvoll stimmt, ist, dass es Menschen gibt, wie z.B. die katholische Ordensschwester Lorena Jenal in Papua-Neuguinea, die dagegen kämpft, die diese Frauen dort rettet und befreit und auch in einem von missio unterstützten und finanzierten Frauenzentrum unterbringt und ihnen dort die Chance auf ein neues Leben gibt.

DOMRADIO.DE: Wie schafft es Schwester Lorena denn, sich für die Frauen einzusetzen und vor allen Dingen, sie zu befreien? Es ist sicher auch nicht einfach.

Nowak: Es gibt auch viele einheimische Frauen, Männer, Priester und Schwestern, die dagegen kämpfen. Ich glaube, dass die Chance gerade von Schwester Lorena ist, dass sie seit den Siebzigerjahren in Papua-Neuguinea lebt, sie Schweizerin ist und dadurch einen besonderen Respekt hat. Wenn man sich anschaut, dass in den letzten Jahren ungefähr 50 Kinder auf den Namen Lorena getauft worden sind, dann zeigt das, dass sie eine große Akzeptanz hat in dieser Gesellschaft. Das sorgt dafür, dass sie mit einer ganz anderen, machtvollen Stimme sprechen und auch intervenieren kann.

Sie begibt sich sicherlich auch in Lebensgefahr. Ich war als wir eine Frau namens Zeno schwerverletzt aus den Fängen dieser Folterer befreien konnten. Sie hat dann doch eine andere Autorität, als wenn jemand aus der Dorfbevölkerung sagen würde, dass die Folterer mit den brutalen Sachen aufhören sollen. Dann wäre die Gefahr groß, dass diese Person selber auf den Scheiterhaufen kommt. Schwester Lorena ist auch selber bedroht worden, aber ich glaube, dass sie gut einschätzen kann, wie sie sich einsetzen und intervenieren kann.

Sie hat zahlreiche Frauen befreit und sorgt auch dafür, dass ein Wandel in dieser Gesellschaft möglich ist. Wobei das, glaube ich, ein ganz langer Prozess ist. Deswegen fängt sie auch in den Dörfern und Schulen an, weil sie die Hoffnung natürlich hat, dass gerade in den Schulen eine neue Generation heranwächst, die nicht mehr an diesem Aberglauben festhält und auch nicht mehr auf der Suche nach Sündenböcken ist.

DOMRADIO.DE: Früher waren es Frauen mit Kräuterwissen, die als Hexen gesehen wurden. Welche Frauen sind denn heute zum Beispiel in Papua-Neuguinea gefährdet und aus welchen Gründen?

Nowak: Ich habe in Papua-Neuguinea mit einer Frau, die einen Hexenprozess überlebt hat, gesprochen und sie erzählte mir, dass es mit ihren Brüdern einen Streit gab um das Erbe ihres Vaters. Normalerweise erben eigentlich nur die Söhne. Der Vater hat aber gesagt "Auch du, meine Tochter, sollst einen Teil des Erbes und des Grundstücks erhalten." Das hat die Brüder neidisch, eifersüchtig und wütend gemacht. Sie wollten sich bereichern und haben ihre eigene Schwester der Hexerei bezichtigt, um das ganze Erbe zu bekommen. Das Motiv der Bereicherung kann ein Grund sein.

Eine andere Projektpartnerin aus der Demokratischen Republik Kongo erzählte mir, dass seit Corona die Zahl der gewaltsamen Übergriffe im Zeichen des Hexenwahns gestiegen ist. Da suchen Menschen, weil sie sich diese Krankheit nicht erklären können, nach Sündenböcken. Es trifft dann oft die Außenseiter, die Schwachen, die Witwen. Aber eigentlich ist es sozusagen fast wahllos. Es ist eine Krankheit und Katastrophen-Situationen, wie wir das früher auch in Deutschland hatten, mit Pest und so weiter. Jetzt ist es Corona, dann suchen sich die Menschen einen Sündenbock und behaupten, diese Hexe ist dafür verantwortlich.

DOMRADIO.DE: Da gibt es also eine Frau, die einen Vater hat, der alle seine Kinder, egal ob weiblich oder männlich, gleich beerben möchte. Kaum vorstellbar, dass Brüder einer Schwester so etwas antun können. Wenn man dann sagt, man bezichtigt sie der Hexerei. Wie kann das dann sein, dass die restliche Familie da nicht zusammenhält? Wie stark ist dieser Glaube an Hexerei?

Nowak: Es gibt internationale Umfragen, in welchen Ländern wie stark der Aberglaube verbreitet ist. Besonders gibt es da Umfragen aus Afrika und in einigen Ländern sagen 75 % der Bevölkerung, dass sie an Hexen und an übersinnliche Kräfte glauben. Das ist ein Phänomen, welches existiert. In den Medien ist am Freitag, dem 13. auch immer viel Berichterstattung und ich bin bei meiner letzten Urlaubsreise auch in der Reihe 12 geflogen und meine Tochter in Reihe 14, da gab es keine Reihe 13.

Was wir natürlich auch kennen, dass es auch in Deutschland viel Gewalt in der Familie gibt, auch wenn man sich eigentlich denkt, dass Familie ein Ort der Harmonie ist, wo man zusammenhält. Wenn es dann einen Konflikt gibt, wie den in Papua-Neuguinea zwischen den Geschwistern, sucht man nach einem Grund, sozusagen die Schwester mundtot zu machen. Da bedient man sich dem Argument der Hexerei. Diese Frau war in dem Dorf unterwegs und dann sind die plötzlich in einen anderen Hexenprozess geraten. Und dann haben die Brüder gesagt "Hier, nehmt euch mal unsere Schwester vor, die ist bestimmt auch eine Hexe." Dann wurde sie nach vorne gezerrt.

Diese Vorstellung ist wirklich unglaublich, dass dieser Hexenwahn auch die Familien betrifft und dass dann diese Brüder sagen "Wir wollen unser Geld, wir wollen unseren Erbanteil und da gehen wir letztendlich über Leichen." Das ist natürlich ein besonders brutales Phänomen. Aber Gewalt in der Familie und häusliche Gewalt und solche Konflikte kennen wir auch aus anderen Ländern. Hier benutzt man jetzt gerade den Aberglauben um die Hexerei, um sozusagen eine Rechtfertigung, ein Motiv zu haben, um sich zu bereichern.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Quelle:
DR
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