Wie die Ackermann-Gemeinde den Prager Kardinal Beran sieht

"Wir wollen ein falsches Bild zurechtrücken"

Der Prager Kardinal Josef Beran wurde von den Nazis und später von den Kommunisten in seiner Heimat drangsaliert. Tschechische Katholiken verehren ihn deshalb, sudetendeutschen Katholiken war er lange suspekt.

Blick auf die Karlsbrücke in Prag / © Adisa (shutterstock)
Blick auf die Karlsbrücke in Prag / © Adisa ( shutterstock )

KNA: Warum war Kardinal Beran bei den heimatvertriebenen Katholiken aus Böhmen so lange schlecht angeschrieben?

Matthias Dörr (Bundesgeschäftsführer der Ackermann-Gemeinde): Es gab um Kardinal Beran verschiedene Geschichten. Ihm wurde unterstellt, im Konzentrationslager Dachau habe er einen gewissen Hass auf die Deutschen entwickelt. Hauptquelle war ein Artikel in einer Schweizer Zeitung, der im März 1947 erschien. Es war kein Wortlaut-Interview, aber Beran wurde so wiedergegeben, als würde er die Vertreibung gutheißen. Davon ausgehend haben sich verschiedene Erzählungen entwickelt, die bis in die jüngste Vergangenheit hinein gepflegt wurden.

KNA: Wie stand er denn zur Zwangsaussiedlung der Deutschen?

Dörr: Die Vertreibung war 1946 weitgehend abgeschlossen, Beran war damals noch kein Erzbischof und auch sonst kein Mann von kirchlichem Einfluss. Man weiß, dass er Freundschaften zu deutschen Mitbrüdern gepflegt hat. Als Erzbischof hat er, wie aktuelle historische Untersuchungen zeigen, sich stark für Deutsche eingesetzt, die sich mit Bittgesuchen an ihn wandten. Als er später mit den vermeintlichen Zitaten aus dieser Schweizer Zeitung konfrontiert wurde, hat er sich deutlich distanziert und gesagt, dass seine Aussagen sinnentstellt wiedergegeben wurden. Sicher hat er das menschliche Leid gesehen, das damit zusammenhing, und die Vertreibung nicht richtig gefunden.

KNA: Trotzdem hielten sich diese Erzählungen hartnäckig.

Dörr: Ja. Der Bundesvorstand der Ackermann-Gemeinde hat sich 2018 mit Beran befasst, als seine sterblichen Überreste von Rom nach Prag umgebettet wurden. Selbst bei jüngeren Mitgliedern war da im Hinterkopf: Mit Beran und den Deutschen stimmt irgendetwas nicht. Auch tschechische Bischöfe und Priester haben uns immer wieder gesagt, dass sie diesen Erzählungen begegnet sind - über einen Mann, für den 1998 im Erzbistum Prag ein Seligsprechungsverfahren eingeleitet wurde. Bei einem historischen Kolloquium in Prag haben wir tschechische Beran-Experten mit den Erzählungen konfrontiert. Da kamen dann interessante Dinge zutage.

KNA: Stichwort "Saturn". Wer verbarg sich hinter diesem Decknamen?

Dörr: Ein Geistlicher deutscher Herkunft aus Nordböhmen, der nicht vertrieben wurde und in der Tschechoslowakei geblieben war. Viele Erzählungen berufen sich auf ihn als Zeugen. Wir konnten feststellen, dass er als Stasi-Agent geführt wurde. Die tschechische Stasi hat versucht, Beran zu diskreditieren, weil er mit seiner Biografie und seiner moralischen Autorität für die Kommunisten gefährlich war. Man hat ihm auch selbst Fallen gestellt, etwa, um kompromittierende Fotos zu erzeugen, die so aussehen, als würde er den Zölibat brechen. In Zusammenarbeit mit dem Institut zur Erforschung totalitärer Regime in Prag konnten wir zeigen, dass es solche gezielten Aktionen gab.

KNA: "Saturn" hieß mit Klarnamen Robert Vater. Was weiß man über seine Motive, ein Stasi-Spitzel zu werden?

Dörr: Dazu kann ich nichts sagen und finde es auch schwer, ein Urteil zu fällen. Wer in einem Unrechtsregime staatlicher Willkür ausgesetzt ist, kann schnell in schwierige Situationen kommen. Er war auch nicht der einzige Geistliche unter den Zuträgern der Stasi. Manche haben vielleicht darin die Möglichkeit gesehen, einem Berufsverbot zu entgehen. Nachweislich hat der Geheimdienst mit Erpressungen gearbeitet.

KNA: Wie aber konnte "Saturn" auf die Heimatvertriebenen in Westdeutschland einwirken?

Dörr: Er war in sudetendeutsche Kreise hinein sehr gut vernetzt, unter anderem nach Königstein, wo Weihbischof Adolf Kindermann ein Zentrum der heimatvertriebenen Katholiken errichtete. Zu Kindermann hatte Vater einen engen Draht, der das negative Narrativ über Beran stark befördert hat. In unserem Archiv konnten wir aber auch finden, dass es an der Verbandsspitze frühzeitig Misstrauen gegen diese Erzählung gab. Als Beran im Exil in Rom war, hat die Ackermann-Gemeinde herzliche Kontakte zu ihm gepflegt.

KNA: In Rom war es für Beran nicht einfach. Man ließ ihn zu seiner Erhebung zum Kardinal ausreisen, aber erst einen Tag vor der Abreise erfuhr er, dass er nicht in die Tschechoslowakei zurückkehren darf. Im Exil hielt ihn der Vatikan an der kurzen Leine. Warum?

Dörr: Das lag an der damals unter Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli betriebenen vatikanischen Ostpolitik. Man wollte auf dem Weg der Verständigung mit den Herrschenden im Ostblock kirchliches Leben ermöglichen. Das erforderte diplomatische Rücksichtnahme. Zu deutliche Wortmeldungen Berans hätten da gestört. So durfte 1966 das von ihm verfasste Grußwort für den Sudetendeutschen Tag nicht verlesen werden.

KNA: Beim Sudetendeutschen Tag in der kommenden Woche in München werden Sie eine neue Veröffentlichung zu Beran präsentieren. Wozu die Mühe - das alles ist doch schon so lange her?

Dörr: Wir wollten mit Blick auf Beran ein falsches Bild zurechtrücken. Das ist etwas, das im deutsch-tschechischen Verhältnis schon öfter nötig war. Auch lange zurückliegende Ereignisse können bis in die Gegenwart hinein wirken und etwa Irritationen auslösen. Dann muss man miteinander reden, aber nicht auf der Basis von Gefühlen oder nicht belegbaren Erzählungen, sondern auf der Basis gesicherter Fakten.

Das Interview führte Christoph Renzikowski.


Kardinal Josef Beran / © Ernst Herb (KNA)
Kardinal Josef Beran / © Ernst Herb ( KNA )
Quelle:
KNA