Samaritaner erinnern mit Schlachtopfern an Auszug aus Ägypten

Wie in der Bibel

Die Samaritaner sind die kleinste Religionsgemeinschaft im Heiligen Land. In ihren Festen folgen sie exakt den biblischen Berichten; wie an Pessach, wenn in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten Schafe geopfert werden.

Autor/in:
Andrea Krogmann
Das Schächten von Schafen während des islamischen Opferfestes gilt als religiöses Gebot / © Martin Schutt (dpa)
Das Schächten von Schafen während des islamischen Opferfestes gilt als religiöses Gebot / © Martin Schutt ( dpa )

Es ist ein heißer Frühjahrstag am Berg Garizim unweit der palästinensischen Stadt Nablus. Seit dem Morgen versammeln sich die Menschen entlang der einzigen Hauptstraße von Kiryat Luza, dem kleinen samaritanischen Dorf unterhalb des heiligen Gipfels.

Frauen mit Pfennigabsätzen und bonbonfarbenen Kostümen und Männer in pastellfarbenen Kaftanen suchen den Schatten der Hauswände. Wenn die Sonne sich senkt, beginnt das samaritanische Pessachfest. Rund 800 Mitglieder zählt die kleinste Glaubensgemeinschaft in Israel. Sie leben am Garizim oder in Holon südlich von Tel Aviv. Zum Auftakt des siebentägigen Fests haben sich die meisten von ihnen am Garizim versammelt.

Normalerweise Hunderte Schaulustige 

Einmal im Jahr, am 14. des samaritanischen Frühjahrsmonats Nissan, schafft es die aus dem Volk Israel hervorgegangene Kultgemeinde in die Nachrichten. Wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht, kommen Hunderte Schaulustige und Journalisten, um einem der archaischsten Rituale der biblischen Welt beizuwohnen: der Opferung von Lämmern nach altüberlieferten Riten, die an den Auszug aus Ägypten erinnern.

Bis heute verstehen sich die Samaritaner als Bewahrer des alten Israel. Buchstabengenau halten sie sich an die 613 Ge- und Verbote der Thora, den einzigen fünf Schriften der hebräischen Bibel, die ihnen als heilig gelten. Die biblischen Spätschriften oder der jüdische Talmud zählen nicht zum samaritanischen Kanon. Glaubenstreue ist eine der Stärken der Gemeinschaft, sagt die Samaritanerin Najhla, die Traditionsweitergabe an die Jungen selbstverständlich bis heute. Dabei verlangen die strikten Regeln den Gläubigen viel ab.

Weiße Kleidung

"Da sind zum Beispiel die religiösen Reinheitsvorschriften", sagt die fünffache Mutter. "Eine Frau muss sich während ihrer Menstruation für sieben Tage von ihrem Mann isolieren, nach der Geburt eines Sohnes 40 Tage, nach der Geburt einer Tochter für 80 Tage." Spezielle Kleidung, eigenes Geschirr und Abstand zu den Lieben lauten die Regeln. "Aber keine Frau ist in dieser Zeit allein, wir sind untereinander wie eine große Familie und helfen einander."

Najhla verabschiedet sie sich für die letzten Vorbereitungen. "Meine Kinder werden mir die weiße Kleidung für Pessach anlegen." Das Café, den Tag hindurch ein Anziehungspunkt, hat sich geleert. Dann erobern rituelle Szenen den öffentlichen Raum. Aus der orientalisch-bunten Menge ist eine weiße geworden, aus der sich die farbigen Gewänder des Hohepriesters und der Ältesten hervorheben.

Ein Schaf pro Familie

Die Sonne hat sich längst in den Abendhimmel verabschiedet. Heiß ist es immer noch auf dem Garizim. Seit Stunden lodert das Feuer aus dicken Olivenstämmen in metertiefen Erdlöchern und verteilt seinen Rauch und Asche mit dem Wind. Die Männer in Weiß treiben Schafe die Straße hinunter zum Platz neben den Feuern. Rund 60 Tiere sind es, üblicherweise ein Schaf pro Familie.

Die Hände zum Himmel, dann wieder den Oberkörper in ehrfürchtiger Weise gebeugt, schließt sich die Menge den Gebeten des Hohepriesters an. Die unruhigen Schafe zwischen den Beinen eingeklemmt, lauschen sie den biblischen Berichten über das Pessachopfer. Ab und an spiegelt sich das Feuer in einer Klinge.

Dann geht alles ganz schnell. Mit einem Schnitt wird das Messer durch Kehlen gezogen, Schaf für Schaf. Tomer, der seine ohnehin hochgewachsenen Glaubensbrüder um einen Kopf überragt, taucht seinen Finger in das frische Blut. Dann drückt er ihn seiner Frau und der neugeborenen Tochter auf die Stirn. Nur der Sohn windet sich. Wie in der biblischen Erzählung soll das Blutzeichen den Träger vor dem Engel des Todes schützen.

Speise um Mitternacht

Ausgelassen, fast erleichtert wirken die Betenden im blutverschmierten Gewand. Minutenlang liegen sie sich in den Armen. "Kul am we intu bechair", "Chag sameach" - gleichberechtigt steigen die arabischen und hebräischen Glück- und Segenswünsche in den Nachthimmel, während die Messerklingen sich durch die Opfertiere arbeiten. Die Innereien landen auf den Flammen des Hauptopferfeuers.

Die Tiere selbst werden gesalzen und garen, auf Spieße gesteckt, in den Feuergruben, deren Öffnung mit einem hölzernen Deckel, Kräutern und Ton verschlossen wird. Gegen Mitternacht wird das Pessachlamm gar sein und gemeinsam verspeist werden. Was beim Morgengrauen noch übrig ist, wird ebenfalls verbrannt - ganz so, wie es in der Bibel steht.


Quelle:
KNA