New Yorker Pfarrerin begrüßt Schuldspruch gegen Ex-Polizisten

"Im Anderen das Angesicht Gottes sehen"

Der Schuldspruch gegen den Ex-Polizisten Derek Chauvin in Minneapolis in dieser Woche hat die Antirassismusbewegung in den USA gestärkt. Miriam Groß ist Pfarrerin in New York und kämpft als Polizeiseelsorgerin für die Würde jedes Menschen. 

USA, Minneapolis: Porträt von George Floyd / © Henry Pan/ZUMA Wire (dpa)
USA, Minneapolis: Porträt von George Floyd / © Henry Pan/ZUMA Wire ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie fühlen Sie sich nach dem Urteil in der zurückliegenden Woche?

Miriam Groß (Evangelische Pfarrerin in New York, ehem. Seelsorgerin der Polizei New York): Es ist zum einen eine große Erleichterung, die eintritt, die ich auch sehr tief verspüren konnte durch die vielen Nachrichten meiner amerikanischen Freundinnen und Freunde und auch ein Aufatmen, das jetzt stattfindet. Denn mit diesem Urteil ist auch aus meiner Sicht ein geschichtlicher Wendepunkt eingetreten.

DOMRADIO.DE: Was bedeutet die Verurteilung des weißen Polizisten denn juristisch?

Groß: Der schwerwiegendste Anklagepunkt gegen Chauvin lautete Mord zweiten Grades ohne Vorsatz. Darauf stehen in Minnesota, wo er ja verurteilt wird, bis zu 40 Jahre Haft. Und dann wurde Chauvin auch Mord dritten Grades vorgeworfen, was mit bis zu 25 Jahren Haft geahndet werden kann. Und dazu kommt ebenso, dass er sich wegen Totschlags zweiten Grades verantworten musste. Darauf stehen zehn Jahre Haft. Von daher steht zwar die genaue Festsetzung des Volumens der Strafe noch nicht fest, aber es wird ihm eine lange Haftzeit bevorstehen.

DOMRADIO.DE: Sie haben es Wendepunkt in der Geschichte genannt. Was ist das für ein Zeichen, das dieses Urteil setzt?

Groß: Wenn wir auf die USA blicken, so sehen wir eine lange und schwere Historie des Rassismus, die im August 1619, damals in Jamestown, Virginia, mit dem offiziellen Beginn der Sklaverei anfing. Und diese zieht sich durch die Historie dieses vielfältigen Landes bis in die heutige Zeit hinein. Und man kann es auf allen Ebenen spüren: einen Rassismus, der sich manchmal latent, manchmal eher verborgen zeigt. Und mit diesem Urteil wird ein großes Zeichen gesetzt, dass man dagegen vorgeht und dass man so etwas nicht zulässt.

DOMRADIO.DE: Wird gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA jetzt vorgegangen?

Groß: Das ist meine ganz große Hoffnung. Ich war selbst Teil dieser Demonstration für Gerechtigkeit. Ich bin dort mitgegangen. Ich habe mitgefiebert und versucht, ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Denn letztendlich ist Rassismus ja eine Verletzung des Gebotes der Nächstenliebe und der Gottebenbildlichkeit. Und gleichzeitig habe ich mich auch deswegen beim New York City Police Department engagiert, dem NYPD, und dort Polizistinnen und Polizisten begleitet, die auch teilweise diesen Struggle, also diesen Kampf, versuchen zu einem guten Ende zu führen.

DOMRADIO.DE: Schauen wir auf die Polizistinnen und Polizisten, die Sie da begleitet haben. Wie schätzen Sie deren Verantwortung ein?

Groß: Die Verantwortung der Polizistinnen und Polizisten der New Yorker Polizei und darüber hinaus in allen Regionen, wo Menschen in der Polizei tätig sind, ist wahnsinnig groß. Wenn man die NYPD betrachtet, so ist sie so bunt und vielfältig, wie diese wunderbare Stadt ebenso ist. Und da gibt es Polizistinnen und Polizisten, die die Geschichte und auch die Verletzungen des Rassismus selbst erspürt, in ihrer Familie erlebt haben, und sich genau deshalb dort engagieren, damit es besser wird, damit sich etwas ändert. Und das war für mich segensreich und auch spannend, diese Personen begleiten zu dürfen, die dunkle Hautfarbe hatten. Auf der einen Seite erzählten sie mir auch von ihrer Familie und der gebrochenen Vergangenheit der USA  und gleichzeitig leiden sie darunter, wie viel Polizeigewalt stattfand. Sie selbst mussten auch diesen Zorn spüren , dass Menschen ihnen ins Gesicht gespuckt haben, dass sie teilweise physisch angegriffen worden sind, weil sie dieses verantwortungsvolle Amt übernommen haben. Das war eine wahnsinnige innere Zerrissenheit für diese Menschen. Denn in der Uniform ist immer ein wertvoller Mensch, der versucht etwas zu verändern und der versucht sich für Gerechtigkeit einzusetzen.

DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich, was nun folgt?

Groß: Ich hoffe, dass wir offen werden und das Thema der Gottebenbildlichkeit in die Mitte unserer Reflexionen stellen und vor allem unseres Handelns. Dass wir im Anderen das Angesicht Gottes sehen, dass wir in ihm die Würdigkeit und den Wert entdecken und unseren Nächsten lieben wie uns selbst. Ich glaube und hoffe, dass das immer deutlich sichtbarer wird. Und an virulenten Themen wie dem Rassismus müssen wir lernen, dass, egal wie unterschiedlich wir sein mögen, welche Hautfarbe, Pigmentierung wir tragen, aus welchem Land wir kommen oder welche finanzielle Leistungsfähigkeit wir haben mögen, dass wir alle würdig und wert sind.

Das Interview führte Katharina Geiger.


Miriam Groß (privat)
Quelle:
DR