Wie "Missionare auf Zeit" in Corona-Zeiten aus der Ferne helfen

Digitaler Austausch und Internetaktionen

"Du bist ewig für das verantwortlich, was Du Dir vertraut gemacht hast", heißt es beim kleinen Prinzen. Das mögen auch manche "Missionare auf Zeit" spüren, wenn sie derzeit an vertraute Menschen in der Ferne denken.

Autor/in:
Birgitta Negel-Täuber
Junge Frau in der Wüste mit einem Laptop / © Ollyy (shutterstock)
Junge Frau in der Wüste mit einem Laptop / © Ollyy ( shutterstock )

Juana hatte es schlimm erwischt - Covid-19. Ein schwerer Verlauf, die 62-jährige Peruanerin musste beatmet werden. Juanas Tochter Ana berichtete ihrer Freundin Eva Dreier in Deutschland von der Krankheit ihrer Mutter; auch andere Familienmitglieder hatten sich angesteckt. Was das Ganze um so schlimmer machte, waren die schier unbezahlbaren Kosten, die der Familie dadurch entstanden.

Denn in Peru müssen die Menschen den Sauerstoff selbst kaufen - und der ist knapp. Binnen kurzer Zeit kletterten die Kosten für eine einzige Sauerstoffflasche von 200 auf 500 Euro. Für Dreier war es selbstverständlich, dass sie helfen würde. Sie startete einen Hilfeaufruf über die sozialen Netzwerke und sammelte innerhalb weniger Tage fast 3.000 Euro, die sie nach Peru überwies.

Dreier hatte Ana und ihre Familie in Lima kennengelernt; dorthin hatten die Hiltruper Missionsschwestern die junge Frau 2014 als "Missionarin auf Zeit" (MaZ) entsandt. Dieser Freiwilligendienst dauert in der Regel ein Jahr. Die meisten treten ihn nach dem Abitur an - ohne zu wissen, dass er sich zu einem Lebensthema entwickeln kann.

Sich des Privilegs bewusst werden

"Bei vielen verstärken sich noch einmal Einstellungen in sozialer oder theologischer Hinsicht," sagt Markus Woettki, der bei den Steyler Missionaren für das MaZ-Programm zuständig ist. Häufig veränderten sich dadurch auch Studienwünsche oder berufliche Perspektiven. "Es kommt durchaus vor, dass jemand zum Beispiel vor seinem MaZ-Einsatz Jura studieren will und danach auf Soziale Arbeit umschwenkt."

Alle aussendenden Orden führen Rückkehrer-Seminare durch. Dabei drehen sich die Gespräche häufig um strukturelle Ungerechtigkeiten. "Die MaZ erleben sich als privilegiert, das wurde im letzten Jahr besonders deutlich. Einerseits waren sie dankbar, dass sie nach Deutschland zurückgeholt wurden, andererseits waren sie bedrückt, weil alle anderen ja bleiben mussten."

Der oft überstürzte Aufbruch durch Corona verschärfte dieses Gefühl. "Das war dramatisch," sagt rückblickend Dario Hülsmann, zuständig für das vom MaZ-Programm der Hiltruper Missionsschwestern. "Die MaZ hatten noch nicht einmal Zeit, sich von ihren Freunden und Kollegen zu verabschieden."

Freiwilligendienst wird zu Hause häufig fortgesetzt

Wieder zurück in Deutschland, setzten die "Missionare auf Zeit" ihren Freiwilligendienst in deutschen Projekten fort. "Sozialkaufhaus, Tafel, Engagement für die Kinder von Geflüchteten," zählt Hülsmann auf. Das jeweilige Projekt im Entsendeland verliert aber kaum jemand aus dem Blick. "Ich versuche von hier aus etwas zu machen", ist ein Satz, den Woettki vor allem im letzten Jahr häufig gehört hat.

"Langjährige Kontakte im privaten Bereich gibt es häufig," sagen die Hauptamtlichen übereinstimmend. Egal, in welcher Weltregion sie eingesetzt werden - die Freiwilligen erleben immer wieder eine Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die sie selber zu Beschenkten macht. Ganz nebenbei erleben sie die große Bedeutung, die Familie und Verwandtschaft für Menschen in fragilen Staaten haben.

Anas Familie muss in Peru zusammenhalten, um über die Runden zu kommen. Die 35-Jährige unterstützt ihre Familie regelmäßig, obwohl alle arbeiten: Mutter Juana betrieb bis zu ihrer Erkrankung einen Lebensmittelstand auf einem nahegelegenen Markt, der Vater hat einen Schlüsseldienst - prekäre Beschäftigungen als Solo-Selbständige, bei denen Quarantäne kaum möglich ist.

Hilfe mit Spenden, Kunst und Blog

Private Spendenaktionen wie die von Eva Dreier sind eher die Ausnahme, aber die Hilfsbereitschaft der MaZ ist ungebrochen. Emely Farnow hat ihre Fotos zu Kunstdrucken verarbeitet und beim Rückkehrer-Seminar in Münster-Hiltrup zum Verkauf angeboten. An dieser Aktion beteiligen sich jetzt auch die RückkehrerInnen aus Papua-Neuguinea; eine von ihnen hatte gleich beim Seminar ihren ersten Verkaufserfolg.

Farnow erstellte nach ihrer überstürzten Rückkehr aus Lima den Blog "Naranja con sal" (Orange mit Salz). Zusammen mit Menschen vor Ort beschreibt sie darin die Situation der Bevölkerung und die veränderte Arbeit in ihrem Projekt. Jetzt gibt es dort statt berufsfördernder Kurse Essensausgaben an die zahlreichen Menschen, die vom Hunger bedroht sind.

"Ein Skandal", findet Hülsmann. Ein völlig überlastetes Gesundheitswesen und staatliches Versagen seien Treiber der Pandemie. "Die Armen in Lateinamerika wurden durch Corona um zehn Jahre zurückgeworfen." Die Hiltruper Missionsschwestern haben zusammen mit zahlreichen anderen Organisationen einen Brief an die peruanische Regierung unterzeichnet, der das Staatsversagen anprangert.

Der Blick der MaZ wird schon in den Vorbereitungsseminaren auf die Ursachen von Armut und Ungleichheit gelenkt und schärft sich in der Pandemie noch einmal; der Blog von Emely Farnow ist dafür ein Beleg. Viele ehemalige MaZ halten Kontakte zum früheren Projekt und zu den Entsendeorganisationen.

Vernetzung über den Einsatz hinaus

Die sozialen Netzwerke und Internetplattformen sind dabei eine große Hilfe; die MaZ-Netzwerke tragen ebenfalls dazu bei, Kontakte am Leben zu halten. "Man muss sich das wie die Alumni-Netzwerke der Universitäten vorstellen", erläutert Jennifer Mumbure, die bei missio für die deutschlandweite Vernetzung der MaZ-Programme zuständig ist.

Die Orden selbst organisieren ebenfalls digitale Austauschmöglichkeiten. So haben die Spiritaner mit Rückkehrern eine wöchentliche digitale Sofaecke eingerichtet, zu der auch regelmäßig ProjektpartnerInnen eingeladen werden, berichtet Mumbure. Für sie ist das ein Beispiel dafür, wie sich Kontakte durch Corona sogar intensiviert haben.

So groß die Hilfsbereitschaft auch sein mag - Anas Mutter konnten die "Missionare auf Zeit" dennoch nicht helfen. Juana ist Anfang Februar an Covid-19 gestorben.


Quelle:
KNA