Frankreichs Katholiken reagieren auf Lehrer-Mord

Augen vor islamistischem Radikalismus nicht verschließen

Nach dem Mordanschlag auf einen Geschichtslehrer ist Frankreich erschüttert. Neben Traurigkeit, Protesten und Demonstrationen für die Meinungsfreiheit herrscht großer Frust angesichts der Untätigkeit der Regierung gegenüber islamistischem Radikalismus.

Eine Frau zündet eine Kerze für den ermordeten Lehrer Samuel Paty an. Zahlreiche Menschen haben sich nach der brutalen Ermordung eines Lehrers zu einer Solidaritätsdemonstration versammelt. / © Michel Euler/AP (dpa)
Eine Frau zündet eine Kerze für den ermordeten Lehrer Samuel Paty an. Zahlreiche Menschen haben sich nach der brutalen Ermordung eines Lehrers zu einer Solidaritätsdemonstration versammelt. / © Michel Euler/AP ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie groß ist der Schock in Frankreich nach dieser unfassbaren Tat, dieser Enthauptung des Lehrers Samuel Paty?

Stefan Lunte (Französischer Kommunalpolitiker und Mitarbeiter der EU-Bischofskommission COMECE): Ja, es ist schon eine echte Schockwelle durch die Bevölkerung gegangen. Viele Menschen sind betroffen. Ich selbst lebe in Moulins, das ist eine Stadt mitten in Frankreich. Der ermordete Lehrer hat hier sein Abitur gemacht. Und da sind natürlich die Wogen besonders hoch gegangen. Es ist schon eine bedrückende Stimmung.

DOMRADIO.DE: Am Wochenende gab es in Frankreich viele Kundgebungen. Der Höhepunkt war sicher gestern Nachmittag, als sich Tausende Menschen auf dem Place de la République im Osten von Paris versammelten und sich mit dem Lehrer solidarisierten. Warum trifft das Thema die Franzosen so sehr?

Lunte: Zunächst ist es wichtig, herauszustellen, dass die Mobilisation im Vergleich zu 2015, als die Attentate gegen "Charlie Hebdo" stattfanden, doch geringer ausfällt. Das hat damit zu tun, dass neben der bedrückten Stimmung, der Betroffenheit und Traurigkeit eben inzwischen auch ein großer Frust da ist, dass die Regierung nicht genug unternimmt, dass Teile der politischen Klasse zu häufig die Augen vor islamistischem Radikalismus verschlossen haben. Zum Teil immer noch verschließen. Das Land ist, bei aller Betroffenheit, die alle teilen, auf der anderen Seite auch gespalten angesichts des islamistischen Radikalismus.

DOMRADIO.DE: Wie werten Sie die aktuellen Reaktionen aus der französischen Politik? Staatspräsident Emmanuel Macron sprach von einem Angriff auf die Werte Frankreichs. Er hat eine nationale Gedenkfeier angekündigt.

Lunte: Der Präsident hat in seiner unmittelbaren Stellungnahme am Freitag gesagt: "No pasarán! Ils ne passeront pas." - "Sie kommen nicht durch!" Das ist ein Slogan der republikanischen Kräfte im Spanischen Bürgerkrieg. Darauf wurde ihm dann nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch sonst geantwortet: Ja, mag sein, aber sie sind vielleicht schon da. Und sie kommen nicht nur nicht durch, sondern sie sind schon angekommen. Dem Präsidenten wurde und wird Tatenlosigkeit vorgeworfen.

Aber heute Morgen und gestern gab es dann doch auch eine deutliche Reaktion der Regierung. Da gibt es jetzt eine Reihe von Maßnahmen. So sollen etwa 50 Vereine näher untersucht werden, darunter ein besonders virulentes Kollektiv gegen Islamophobie in Frankreich. Die haben auch mit dazu aufgerufen und dieses Handeln des Lehrers kritisiert. Dann sollen etwa 231 radikalisierte Islamisten mit ausländischer Staatsangehörigkeit ausgewiesen werden. Die Polizei geht offensichtlich aktuell auch gegen eine ganze Reihe von Islamisten vor. Da ist jetzt doch eine härtere Reaktion zu spüren.

DOMRADIO.DE: In Frankreich gibt es im Schnitt jeden Tag etwa drei Übergriffe auf Kirchen und christliche Symbole. Wie reagieren denn die französischen Christen auf die religiös motivierte Tat?

Lunte: Zunächst einmal ist eine große Betroffenheit und Traurigkeit da. Gestern im Gottesdienst haben wir in den Fürbitten natürlich an den ermordeten Lehrer und seine Familie gedacht. In der jüngeren französischen Geschichte ist das Konzept der Laizität verankert, das immer wieder hervorgehoben wird und mit dem sich Christen gut identifizieren können. Was vielen Katholiken ein Problem bereitet, ist, dass es in manchen Teilen der Politik bislang sehr schwergefallen ist - und da hat sich jetzt an diesem Wochenende doch einiges geändert - die Dinge beim Namen zu nennen.

Es sind nicht irgendwelche religiösen Attentäter, das Problem sind heute nicht so sehr - zumindest in Frankreich - radikalisierte Christen, sondern es sind radikalisierte Menschen, die sich auf den Islam berufen.

Auch wenn die Katholiken oft fragen: Warum ist das so? Warum kann das nicht genauer beim Namen benannt werden und gesagt werden? Da gibt es innerhalb der Katholiken in bestimmten Kreisen diese Versuchung, Religion insgesamt infrage zu stellen. Das ist natürlich etwas, das wir nicht annehmen können.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Ein Protestteilnehmer in Lyon hält ein Plakat hoch, auf dem zu lesen ist (Pour la liberté d'expression) "Für die Redefreiheit". / © Laurent Cipriani/AP (dpa)
Ein Protestteilnehmer in Lyon hält ein Plakat hoch, auf dem zu lesen ist (Pour la liberté d'expression) "Für die Redefreiheit". / © Laurent Cipriani/AP ( dpa )

Stefan Lunte (KNA)
Stefan Lunte / ( KNA )
Quelle:
DR
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