Designierter Regierungschef Adib zurückgetreten

Kirche fürchtet um den Libanon

Eine Experten-Regierung aus parteilosen Ministern: Mit diesem Ansinnen konnte sich der designierte Präsident des Libanon nicht durchsetzen. Der maronitische Patriarch Bechara Kardinal Rai beklagt das Fehlen einer funktionierenden Regierung.

Symbolbild: Flagge des Libanon / © Yulia Grigoryeva (shutterstock)
Symbolbild: Flagge des Libanon / © Yulia Grigoryeva ( shutterstock )

Mustafa Adib (48), seit 31. August designierter Ministerpräsident des Libanon, ist am Samstag zurückgetreten. Der frühere Botschafter in Berlin war zuvor an der Regierungsbildung gescheitert. Zuletzt gab es Widerstand des schiitischen Lagers gegen den Vorschlag, die wichtigsten Ministerien unter Vertretern der verschiedenen Religionsgruppen rotieren zu lassen. Libanons Präsident Michel Aoun nahm das Gesuch an und dankte dem sunnitischen Muslim Adib für seine Bemühungen.

Patriarch sieht den Libanon in Gefahr

Der maronitische Patriarch Kardinal Bechara Rai zeigte sich am Sonntag enttäuscht. "Mit der Ablehnung von Herrn Adib ist das Land nun mehreren Gefahren ausgesetzt, darunter das Fehlen einer Regierung, die die Rettungsaktion des Landes leitet, an internationalen Konferenzen teilnimmt und mit dem internationalen Währungsfonds diskutiert", sagte Rai laut der Zeitung "Orient le Jour" in seiner Sonntagspredigt am Sommersitz in Dimane.

Auch würden die Erwartungen der Menschen enttäuscht, die durch ein neues Kabinett auf einen Wandel in der politischen Klasse gehofft hatten. Stattdessen hätten sich nationale Krise und Regierungskrise noch verschärft.

Rai forderte unter Verweis auf die Verfassung sowie den Nationalpakt, keiner Partei, keinem Lager und keiner Religionsgruppe ein bestimmtes Ministerportfolio definitiv zuzuschreiben. Stattdessen müsse die Regel der demokratischen Rotation angewendet werden. "Die Effizienz eines jeden Teils des Landes hängt von seiner Interaktion mit den anderen ab und nicht davon, ihnen seine Stärke aufzuzwingen. Unsere Rolle zusammen ist stärker als die Rolle jedes Einzelnen", sagte Rai.

Ansatz einer parteilosen Regierung vorerst gescheitert

Adibs Plan sah eine kleine Regierung mit 14 Ministern vor, die keiner Partei direkt angehören und dennoch deren Segen haben. Die besonders wichtigen Ministerien des Inneren, des Äußeren, der Verteidigung und der Finanzen wollte Adib unter den wichtigsten Religionsgruppen rotieren lassen; der Vorschlag fand bei Sunniten und Christen Zustimmung. Die beiden schiitischen Parteien Amal und Hisbollah bestanden hingegen auf einer schiitischen Besetzung des Finanzministeriums.

Adibs Verzicht gilt als Rückschlag für die Initiative des Präsidenten der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, Emmanuel Macron, der sich massiv für die Bildung einer kleinen Expertenregierung zur Umsetzung umfassender Reformen im Libanon stark gemacht hatte. "Die Bildung einer Regierung mit besonderen Spezifikationen, die auf Kompetenz und Integrität beruhen, hätte es Präsident Macron ermöglicht, die internationale Gemeinschaft zu mobilisieren, um dem Libanon zu helfen", sagte Adib laut Bericht nach seinem Rücktritt.

Die Vorgängerregierung von Ministerpräsident Hassan Diab war am 10. August als Konsequenz der Explosion im Hafen von Beirut am 4. August zurückgetreten, bei der mindestens 190 Menschen starben. Seit Oktober halten Massenproteste gegen die politische Führungsriege, Missstände und Korruption im Land an, die am 29. Oktober 2019 bereits zum Rücktritt von Ministerpräsident Saad Hariri führten.


Kardinal Bechara Boutros Rai / © Paul Haring (KNA)
Kardinal Bechara Boutros Rai / © Paul Haring ( KNA )
Quelle:
KNA