Pfarrerin über die steigenden Corona-Infektionszahlen in Südkorea

"Wir sind in Stufe zwei von drei"

Südkorea galt zumindest anfangs als ein Vorbild im Umgang mit Corona. Nun sind aber auch dort die Infektionszahlen angestiegen. Die Pfarrerin der evangelischen Gemeinde in Seoul erklärt, wie sich das auf das kirchliche Leben auswirkt.

In einem Café in Seoul halten die Gäste sich an die Abstandsregeln zur Eindämmung der Corona-Pandemie / © YONHAPNEWS AGENCY/YNA (dpa)
In einem Café in Seoul halten die Gäste sich an die Abstandsregeln zur Eindämmung der Corona-Pandemie / © YONHAPNEWS AGENCY/YNA ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie ist es denn bei Ihnen in Südkorea jetzt aktuell?

Mi-Hwa Kong (Pfarrerin der evangelischen Gemeinde in Seoul): Aktuell muss ich leider sagen, dass sich doch einiges verändert hat. Wir waren ja bisher immer in einer sehr privilegierten Lage, dass wir recht niedrige Neuinfektionszahlen hatten. Das hat sich aber jetzt leider in den letzten Wochen verändert. Bisher hatten wir im Schnitt vielleicht mal etwa 30 Neuinfektionen, was ja kaum eine Größe ist.

Jetzt waren die letzten Zahlen über 400, was für koreanische Verhältnisse schon sehr viel ist.

DOMRADIO.DE: Woher kommt es, dass es jetzt wieder so stark ansteigt? Werden die Masken nicht getragen?

Kong: Die Masken werden getragen, und eigentlich halten sich auch viele an die Regelungen. Aber es gab jetzt einen größeren Umstand. Am 15.08. ist hier immer ein Feiertag. Es ist der Unabhängigkeitstag in Korea. Dabei gab es eine größere Demonstration, ausgelöst auch von Mitgliedern einer bestimmten sogenannten Kirche. Ein infizierter Pfarrer hat sich da nicht an Quarantäne-Regelungen gehalten und über diese Kirchengemeinde hat sich leider das Virus jetzt noch einmal verbreitet.

Es gab auch noch andere Fallgruppen – leider im Zusammenhang mit Kirchen, sodass sich das plötzlich so in diese andere Richtung entwickelt hat, womit wir überhaupt nicht gerechnet haben.

DOMRADIO.DE: Die Kirchengemeinden standen in diesem Zusammenhang schon mal im Fokus und sind es jetzt leider wieder. Sie sind wieder betroffen. Wie handhaben Sie das jetzt mit Gottesdiensten, die wieder verboten werden, beispielsweise in Ihrer Gemeinde?

Kong: Wir sind angehalten, nicht mehr Offline-Gottesdienste zu halten, also Präsenzgottesdienste und müssen jetzt wieder umschalten. Nachdem wir uns eigentlich gefreut hatten, dass wir wieder Gottesdienste feiern durften und wir zum Glück auch die Konfirmation noch in der traditionellen Form machen konnten, sind wir jetzt wieder darauf angewiesen, alles online machen zu müssen. So werden wir dann auch wieder auf einen Online-Gottesdienst zurückgreifen, was natürlich so etwas wie eine Krücke ist. Es ist besser als nichts. Aber wir leben ja eigentlich davon, dass wir uns begegnen, dass wir Gemeinschaft haben, dass wir uns austauschen. Das ist gerade leider überhaupt nicht möglich.

Was ich betonen möchte, ist: Kirche ist ja nicht gleich Kirche. Es ist immer so schade, wenn es Probleme gibt bei einem Vertreter einer bestimmten Kirchengemeinschaft, Freikirche oder bei dieser Sekte, die damals betroffen war, dass dann gleich alle Kirchen in Verruf geraten. Da würde ich gerne noch einmal unterscheiden und nicht gleich alle Kirchen in einen Topf werfen.

DOMRADIO.DE: Was geben Sie Ihren Gemeindemitgliedern mit, wie sie trotzdem ihren christlichen Glauben aufrechterhalten können? Natürlich über Online-Gottesdienste, aber haben Sie auch aus der Zeit, als es schon mal so war, gelernt und können jetzt einen guten Tipp geben?

Kong: Ja, uns ist jetzt klar geworden: Wir müssen uns digitalisieren. Das ist der einzige Weg, um weiterhin den Kontakt zu den Gemeindemitgliedern halten zu können. Dazu werden wir jetzt auch als Gemeindekirchenrat am Wochenende einen Workshop haben – auch online. Für diesen Workshop war eigentlich geplant, dass wir ihn als Präsenzveranstaltung machen. Das ist jetzt aber nicht anders möglich.

Bei diesem Workshop wollen wir über Ziele und Visionen der Gemeinde bis zum Jahr 2022 schauen und einen Blick darauf werfen, was möglich ist unter diesen Umständen. Bei mir schlagen da immer zwei Herzen. Das muss ich ganz ehrlich sagen. Auf der einen Seite denke ich: Ist das alles überhaupt realisierbar? Ist das möglich, Kirche und Gemeinschaft unter diesen Bedingungen aufrecht zu erhalten?

Oder ist das jetzt gerade die Chance, anders zu denken und vielleicht Angebote unter diesen Umständen dennoch attraktiv zu gestalten und Kirche einfach auch nochmal anders zu denken? Vielleicht entsteht auch etwas Neues? Die Hoffnung möchte ich eigentlich gar nicht aufgeben.

DOMRADIO.DE: In Südkorea gab es schon ziemlich früh eine App zur Eindämmung des Coronavirus. In Deutschland gibt es die inzwischen auch. Vergleichen wir auf anderer Ebene noch mal beide Länder miteinander. In Deutschland gibt es gerade starke Demos gegen die Corona-Politik. Es werden Proteste laut – wie auch am Wochenende in Berlin beispielsweise. Wie erleben Sie das bei Ihnen? Hier ist es eigentlich mehr auf Freiwilligkeit ausgelegt, dass man die Maske trägt. Und Sie sagen, bei Ihnen wird sie getragen?

Kong: Ja, die Maske wird getragen. Aber wenn man die App miteinander vergleicht, ist es zwar jeweils eine App. Aber hier wird die App nochmal ganz anders verordnet. Also beispielsweise, wenn Sie in Quarantäne sind, dann wird Ihnen diese App aufgespielt. Ich selbst bin jetzt in Deutschland gewesen und musste danach zwei Wochen hier in Korea in Quarantäne. Da wird das auch richtig überwacht. Also wenn Fehlermeldungen auftauchen, dann kriegt man auch direkt einen Anruf. Im Sinne von: Sie haben gerade Ihr Gebiet verlassen. Oder: Sie haben Ihr Handy zu wenig bewegt. Also es wird richtig überwacht, sodass man auch tatsächlich Anrufe erhält und dass auch kontrolliert wird.

Ich glaube, das ist anders als in Deutschland, wo das eine freiwillige Sache ist, ob man sich überhaupt anmeldet bei dieser App und dann diese ganzen Tracking-Wege verfolgt werden können.

DOMRADIO.DE: Trotzdem erlebt man bei Ihnen in der Gesellschaft nicht so einen starken Gegenwind gegen die Maßnahmen, die gegen das Coronavirus erhoben werden.

Kong: Das liegt zum einen daran, weil es ja hier eine kollektive Struktur ist. Die Menschen hier sind es nicht gewohnt, Kritik zu äußern. Zumindest nicht in der Form, wie wir das gewohnt sind, – Kritik so vehement zu äußern. Es ist eine kollektive Gesellschaft, die auf Rücksichtnahme der anderen sich selber auch noch mal zurücknehmen, individuelle Bedürfnisse zurücknehmen und sagen: Wir machen das für die Gemeinschaft. Ich glaube, das ist der große Unterschied. Es gibt sicherlich vereinzelte Stimmen, aber nicht so vehement, wie das jetzt in Deutschland geschieht.

DOMRADIO.DE: Blicken Sie hoffnungsfroh in die Zukunft?

Kong: Die Hoffnung stirbt zuletzt – und letztendlich bleibt uns ja auch nur die Hoffnung. Wir befinden uns, glaube ich, gerade an einem ganz kritischen Zustand. Wir sind in Stufe 2 von drei Stufen. Stufe 3 ist die höchste Sicherheitsstufe. Ich hoffe nicht, dass wir in diese dritte Stufe übergehen, weil das einfach noch einmal ganz viele Konsequenzen hat, was den Schulbetrieb anbelangt. Ich unterrichte ja auch an der Deutschen Schule in Seoul.

Ich hoffe, dass wir das dennoch irgendwie hinbekommen, die Zahlen zu reduzieren. Ich weiß es nicht. Die Zahlen von 30 Prozent, bei denen die Fälle nicht mehr zurückzuverfolgen sind, wo man sich infiziert hat, das macht mich schon nachdenklich. So hoch war die Zahl bisher nicht. Aber ich glaube, wir müssen jetzt die nächsten Tage einfach beobachten.

Das Interview führte Katharina Geiger.


Mi-Hwa Kong – Pfarrerin in Südkorea (privat)
Mi-Hwa Kong – Pfarrerin in Südkorea / ( privat )

Coronavirus - Südkorea: Menschen, die zum Schutz vor der Verbreitung des Coronavirus Gesichtsmasken tragen, beten während eines Gottesdienstes / © Ahn Young-Joon/AP (dpa)
Coronavirus - Südkorea: Menschen, die zum Schutz vor der Verbreitung des Coronavirus Gesichtsmasken tragen, beten während eines Gottesdienstes / © Ahn Young-Joon/AP ( dpa )

Coronavirus - Südkorea: Ärzte halten Schilder mit Kritik an der Politik der Regierung in einem Krankenhaus hoch / © Lim Hun-Jung/Yonhap/A (dpa)
Coronavirus - Südkorea: Ärzte halten Schilder mit Kritik an der Politik der Regierung in einem Krankenhaus hoch / © Lim Hun-Jung/Yonhap/A ( dpa )
Quelle:
DR