Signifikanter Schwund christlicher Kultur bei jungen Franzosen

Wer kennt noch das Vaterunser?

Wie christlich ist Frankreich noch? Wer kann zentrale Gebete auswendig? Wer besitzt eine Bibel? Diese und andere Fragen stellte ein Meinungsforschungsinstitut 1988 einer repräsentativen Auswahl von Franzosen. Und jetzt, im August 2020, wieder.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Bibelstudium auf einem Sofa / © Chat Karen Studio (shutterstock)
Bibelstudium auf einem Sofa / © Chat Karen Studio ( shutterstock )

Es ist keine wirkliche Überraschung. Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ifop ergab: Noch ist die christliche Kultur in der französischen Gesellschaft stark präsent - aber mit klar sinkender Tendenz bei jungen Menschen unter 35 Jahren.

Die Vergleichsdaten gehen auf das Jahr 1988 zurück. Damals hatte Ifop die gleichen Fragen gestellt. Die Zeitung "Le Monde" gab nun dieselbe Umfrage noch einmal in Auftrag.

Ein recht plakativer Indikator für Kenntnisse über das Christentum rekurriert auf die Schulzeit: 56 Prozent der befragten 1.009 Franzosen gaben im August 2020 an, das "Vaterunser"-Gebet "auswendig und vollständig" zu kennen; 1988 waren es noch 67 Prozent. Schon enger wird es beim "Ave Maria": 46 Prozent gegenüber 61 Prozent noch vor 32 Jahren.

Wer kennt noch das Vaterunser?

Schaut man genauer hin, wird das Gefälle schon deutlicher. Die über 50-Jährigen, die diese Grundgebete schon in ihrer Jugend kannten, haben sie bis heute auch nicht vergessen, wie die Zahlen belegen. Allerdings kennen nur noch 42 Prozent der unter 35-Jährigen das "Vaterunser" und 29 Prozent das "Ave Maria".

Dieselben Datensätze, nach anderen Kriterien gewendet: Führungskräfte (66 Prozent) kennen das "Vaterunser" häufiger als Arbeitnehmer (49 Prozent) und Arbeitslose (55 Prozent). Und die Wähler von Emmanuel Macron 2017, Francois Fillon (je 64 Prozent) und Marine Le Pen (62 Prozent) kennen es besser als die Wähler von Jean-Luc Melenchon (Linke, 48 Prozent). Kaum überraschend, dass Katholiken (78 Prozent) und praktizierende Katholiken (95 Prozent) dieses Grundgebet besser kennen als Protestanten (69 Prozent) und Anhänger anderer Religionen (37 Prozent).

Bei den christlichen Feiertagen verläuft die Kurve der Kenntnisse ähnlich, aber schon auf niedrigerem Niveau. So wissen noch 44 Prozent der Franzosen, dass zu Ostern die Auferstehung Jesu Christi gefeiert wird - gegenüber 43 Prozent im Jahr 1988. Allerdings sind darunter 47 Prozent über 50 Jahre alt; unter 35 Jahren kannten nur 34 Prozent die Bedeutung dieses Feiertags. Bei Pfingsten wird der Schwund schon krasser: Nur 7 Prozent der unter 35-Jährigen können noch sagen, dass die Sendung des Heiligen Geistes an die Apostel gefeiert wird - gegenüber 13 Prozent aller Franzosen. Ende der 80er Jahre waren es immerhin noch 18 Prozent.

Und wer hat noch eine Bibel?

Auch im Besitz religiöser Gegenstände ist die sinkende Durchdringung der christlichen Kultur zu spüren. 31 Prozent der Franzosen besitzen eine Bibel (1988: 34 Prozent), darunter 66 Prozent der praktizierenden Katholiken (vorher: 64 Prozent); von den unter 35-Jährigen sind es nur noch 23 Prozent. 17 Prozent der Franzosen haben ein Kruzifix an einer Wand ihrer Wohnung (1988: 39 Prozent).

Interessant: 51 Prozent der praktizierenden Katholiken haben eines, aber: Ende der 80er Jahre waren es noch 85 Prozent.

Jerome Fourquet, Ifop-Direktor für Meinungsbildung und Unternehmensstrategien, führt diesen Bedeutungsverlust auf das "globale Phänomen der Säkularisierung der Gesellschaft" zurück. Für viele Menschen sei es einfach "nicht mehr interessant, diese Kultur zu kennen". Für einen großen Teil der jüngeren Generationen sei das Christentum eine Fremdsprache, wenn nicht gar unbekannt geworden, so der Politikwissenschaftler. Zugleich weist Fourquet darauf hin, dass es im französischen Bildungssystem "wenig Unterricht in religiöser Kultur" gebe. Von nichts, so könnte man das übersetzen, kommt auch nichts.


Französische Fahne / © Rick Hawkins (shutterstock)
Quelle:
KNA