Mailands Erzbischof kritisiert vorschnelle Suche nach Schuldigen

"Wir müssten die gesamte Geschichte rekonstruieren"

Mailands Erzbischof Mario Delpini hat eine vorschnelle Suche nach Schuldigen in der Corona-Pandemie kritisiert. Die ersten wieder zugänglichen Gottesdienste bezeichnete Delpini als "Rehabilitation nach einem Trauma".

Gottesdienst mit Anwesenheitsliste / © Dominik Wolf (KNA)
Gottesdienst mit Anwesenheitsliste / © Dominik Wolf ( KNA )

"Mir gefällt diese Jagd nach Tätern nicht, die aggressiven Töne derer, die sich als Opfer fühlen und nach einem Verantwortlichen suchen", sagte er der Zeitung "Repubblica" (Sonntag). Es werde Zeit brauchen, "um wirklich zu verstehen, was passiert ist".

"Mir ist klar, dass wir einen sehr hohen Preis bezahlt haben", so Delpini. "Es hat zu viele Tote gegeben." Um aber die Gründe dafür zu verstehen, sei eine genaue Analyse nötig. "Wir müssten die gesamte Geschichte rekonstruieren, um die Wirkung getroffener Maßnahmen und die Verbreitung des Virus zu verstehen", so Delpini. Zunächst aber gehe es um "Mitleid für die vielen Toten" und "Dankbarkeit für diejenigen, die die Kranken geheilt und dabei ihre eigene Gesundheit und die ihrer Familie riskiert haben".

Erste öffentliche Gottesdienste

Die ersten Gottesdienste mit Menschen nach dem Lockdown hätten "einer Rehabilitation nach einem Trauma" geähnelt, beschrieb Delpini seine Erfahrungen in der vergangenen Woche. Die Feiern seien keine "glücklichen Momente" gewesen, wie man sie sonst erlebt, wenn alles vorbei ist. Früher seien die Leute in die Kirche gekommen, hätten Hallo gesagt, gebetet und gesungen. "Jetzt aber mit der Maske, dem Abstand, der Art und Weise des Kommunionempfangs wird die Messe mit Künstlichkeit und Vorsichtsmaßnahmen überfrachtet. Wir müssen wieder lernen, zu feiern", so Delpini. Etliche seien "genervt" und "ein wenig verärgert" wegen der ständigen Ermahnungen, Abstand zu halten.

Das weitere Ergehen der Stadt Mailand hängt laut dem Erzbischof vor allem von jedem Einzelnen ab. Entscheidend seien, wie klug oder dumm jemand mit den gemachten Erfahrungen umgehe, "ob jeder seine Lektion gelernt hat", warnte Delpini. "Die Stadt wird nicht automatisch besser oder schlechter werden, weil es ein solches Trauma gegeben hat: Alles wird von den einzelnen Mailändern abhängen."


Mario Delpini / © Paolo Galosi (KNA)
Mario Delpini / © Paolo Galosi ( KNA )
Quelle:
KNA
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