50 Shades of Ausgangssperre - Corona in Kapstadt

Wenn Old MacDonald am Nervenkostüm rüttelt

Korrespondenten schreiben aus der Corona-Krise an die Zentrale: Persönliches und Politisches, Trauriges und Tröstliches von den Mitarbeitern der Katholischen Nachrichten-Agentur. Diesmal: eine E-Mail aus Kapstadt.

Autor/in:
Markus Schönherr
Coronavirus in Südafrika: Menschen lassen sich testen / © Jerome Delay (dpa)
Coronavirus in Südafrika: Menschen lassen sich testen / © Jerome Delay ( dpa )

Wussten Sie, dass Old MacDonald eine Farm hatte? Er hatte sie frühmorgens vor dem ersten Kaffee, in der Mittagspause und sogar auch noch abends beim Zubettgehen. Und unsere im Homeoffice gestrandete Nachbarin wird nicht müde, uns daran zu erinnern. Gut, eigentlich sind wir nur unfreiwilliges Publikum, wenn sie ihrem Graupapagei tagein, tagaus den Kinderliedklassiker vorsingt. Mittlerweile kann der Gefiederte "Old MacDonald" auch schon recht gut rezitieren. Der südafrikanische "Lockdown" wird zur Geduldsprobe.

Eine der "striktesten Ausgangssperren weltweit"

Vor sechs Wochen erließ Präsident Cyril Ramaphosa eine der "striktesten Ausgangssperren weltweit" - bei dem Superlativ sind deutsche und englischsprachige Zeitungen sich dieser Tage einig. Konkret bedeutet das: Kein Verkauf von Alkohol oder Zigaretten; kein Joggen oder Gassigehen mit dem Hund; kein Kino- oder Restaurantbesuch. Im Grunde nur Einkaufen gehen und danach zuhause weiterarbeiten - sofern man denn eines hat.

Denn Millionen Südafrikaner, die ihren Lebensunterhalt draußen auf der Straße verdienen, haben seit Wochen keinen Cent mehr eingenommen. Die Frau mit den gegrillten Schafsköpfen, der Straßenkiosk-Betreiber, die Jugendlichen mit den Orangenkistchen an der Ampel: Sie alle wurden von Polizei und Armee von der Straße verbannt.

Wirtschaftliche Auswirkungen

Das war zugegebenermaßen notwendig. Der harte "Lockdown" hat Kliniken und Behörden wertvolle Zeit verschafft. Wirtschaftlich kam dieser für ein ohnehin hinkendes Schwellenland aber einem Knieschuss gleich. Stand die Arbeitslosenrate schon vor der Corona-Pandemie bei 29 Prozent, so verlor Schätzungen zufolge zusätzlich jeder zehnte Arbeitende während der Ausgangssperre seinen Job.

Sichtbar wird das an der Schlange vor den Essensausgaben; der Hunger nimmt zu, und Hilfsorganisationen haben im einstigen Hoffnungsland Afrikas wieder Hochkonjunktur. Die Regierung versprach Unterstützung in Form von Beihilfen für Arbeitslose (18 Euro pro Monat) und Stundungen für Unternehmen. Mal gucken, ob dieses Pflaster die klaffende Wunde zusammenhalten kann.

Hoffnung auf niedrigere Levels der Einschränkungen

Doch da ist ein Hoffnungsschimmer. Und der heißt: Level 4. Um das System zu erklären, trat Präsident Ramaphosa selbst vor die Kameras. Demnach wird der Notstand jetzt in verschiedene Levels unterteilt. Derzeit befinden wir uns in Level 5, dem harten "Lockdown". Ziel ist Level 1, in dem wieder Reise- und Versammlungsfreiheit herrschen. Die aktuelle Stufe orientiert sich unter anderem an den Neuinfektionen; jederzeit kann es ein Level nach oben oder nach unten gehen. Für die Südafrikaner ist all das nicht neu: ein ähnliches System wurde in den vergangenen Jahren bereits bei der Strom- und Wasserkrise angewandt.

Doch es wäre keine südafrikanische Lösung, gäbe es weder Verwirrung noch eine brodelnde Gerüchteküche. Zum Mai befindet sich das Land in Level 4: Restaurants werden geöffnet, dürfen aber ausschließlich Essen zustellen. Autohersteller dürfen die Fließbänder wieder anwerfen - aber nur mit der Hälfte an Arbeitern. Der gute südafrikanische Pinotage darf wieder exportiert werden - im Inland verkauft aber erst in Level 3. Dann dürfen auch wieder Flugzeuge abheben, aber noch lange keine Passagiere außer Landes bringen.

Und überhaupt wird jede der neun Provinzen, jede Stadt ihren individuellen Corona-Level führen. Wieder mal lebt Südafrika vor, dass der Notstand nicht schwarz oder weiß ist. Er hat Graubereiche. Viele davon. 50 Shades of Ausgangssperre ...

Aber nur um das klarzustellen: Das ist kein Beschwerdebrief - weder gegen das langweilige Homeoffice noch gegen den Notstandsflickenteppich, der sich vielleicht sogar noch als Erfolgskonzept herausstellt. Im Gegenteil. Schlägt man die Zeitung auf, um von Polizeigewalt und Lebensmittelprotesten in den Townships zu lesen, wird einem neu bewusst, wie gering die Einschränkungen in den Kapstädter Vororten doch vergleichsweise sind. Deshalb halten wir durch, warten auf Level 1 und lauschen geduldig Old MacDonald.


Quelle:
KNA