Misereor sorgt sich um Wanderarbeiter in Indien

"Es rollt eine Katastrophe auf uns zu"

Weltweit gibt es Ausgangssperren, die weit strenger sind als in Deutschland. In Indien zum Beispiel trifft die Corona-Krise vor allem die Wanderarbeiter und Tagelöhner hart, wie Misereor-Länderreferent Anselm Meyer-Antz berichtet.

Ein Mann in Indien bei der Weizenernte / © Xinhua (dpa)
Ein Mann in Indien bei der Weizenernte / © Xinhua ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie ist die Lage für die Ärmsten im Land, so muss man sie ja bezeichnen?

Anselm Meyer-Antz (Länderreferenz Misereor): Da müssen wir unterscheiden, was Corona angeht. Wenn wir uns die Zahlen angucken, ist die Lage in Indien noch nicht so furchtbar dramatisch, weil das Virus ja quasi einen Gabel-Flug genommen hat: Es ist von China nach Europa gekommen und dann wohl aus Italien wieder nach Indien eingeschleppt worden. 

Coronavirus - Indien: Einwohner mit Mundschutz desinfizieren ihre Straßen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen / © Anupam Nath (dpa)
Coronavirus - Indien: Einwohner mit Mundschutz desinfizieren ihre Straßen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen / © Anupam Nath ( dpa )

Dramatisch ist aber die Lage der 400 bis 600 Millionen ärmsten Inder, was die allgemeine Lebenslage angeht. Durch den "Lockdown", den eigentlich völligen Ausgangsstopp der Regierung, sind alle, die im informellen Sektor tätig sind, völlig von ihren Lebensgrundlagen, von ihrer Tagelöhner-Tätigkeit, von den Gelegenheitsjobs auf dem Bau in den Städten abgeschnitten. Und damit können sie auch nichts mehr zu essen kaufen.

DOMRADIO.DE: Gibt es denn irgendeine Art Hilfe von der Regierung?

Meyer-Antz: Es gibt grundsätzlich in Indien Umverteilungsprogramme, die vorsichtig gesagt gar nicht so schlecht sind. Diese Programme bestehen auch weiter. Aber in einem Land ohne Meldepflicht werden die Zuteilungen aus diesen Programmen natürlich mithilfe von irgendwelchen bürokratischen Kontrollen untersucht, um die Korruption zu bekämpfen, die man Indien vorwirft.

Und wenn jetzt jemand als Wanderarbeiter aus dem Bundesstaat Maharashtra in Neu-Delhi arbeitet, dann hat er da keinen Bezugsanspruch. Das bedeutet, dass er zunächst mal an die Sachen gar nicht ran kommt. Die indische Regierung hat durchaus versucht, zusätzliche Programme zu entwickeln. Die funktionieren bis jetzt nur sehr, sehr eingeschränkt und deswegen haben sich die meisten Leute auf den Weg nach Hause gemacht.

DOMRADIO.DE: Das heißt, da fühlen sich momentan Hunderttausende dieser Wanderarbeiter und Tagelöhner im Stich gelassen und alleine?

Meyer-Antz: Sie sind verzweifelt und wenn wir es noch mal klarmachen, dass das Corona-Virus ja noch gar nicht wütet, dann kann man sich ausmalen, was da in Indien - zukünftig das größte Volk der Erde mit jetzt schon 1,3 Milliarden Menschen - für eine furchtbare humanitäre Katastrophe auf uns zurollt.

DOMRADIO.DE: Inwieweit schränkt denn die Ausbreitung des Coronavirus, die Indien noch nicht in dem Maße erreicht hat, jetzt schon die Arbeit von Hilfsorganisationen wie Misereor ein?

Meyer-Antz: Unsere Partnerorganisationen mussten von einem auf den anderen Tag zu Hause bleiben. Die können die Menschen bei ihren Behördengängen nicht mehr unterstützen. Sie können nicht mehr mit Rat und Tat bei Kreditkunden zur Seite stehen und sind nicht mehr in der Lage, hoffnungsvolle Gruppenprozesse in der Stadt genauso wie auf dem Land weiter zu unterstützen. 

Das betrifft auch Kleinbauern, die ihre Güter alleine nicht in die Stadt schaffen können, sondern auf den Lastwagen der Nichtregierungsorganisationen angewiesen sind. Dieser Lastwagen kommt nicht mehr. Wenn sie vor allem auf ein bestimmtes Gut bei der Produktion gesetzt haben, haben sie dann das nötige Geld nicht mehr, um sich alles andere, was sie so brauchen, einkaufen zu können.

DOMRADIO.DE: Gibt es denn irgendeine Hoffnung, dass sich die Situation für die Wanderarbeiter in Indien bessern könnte?

Meyer-Antz: Wenig und es wird von ihrer Kraft zur Selbsthilfe abhängen. Ich sage es nochmal: Da rollt eine humanitäre Katastrophe auf uns zu, die ganz am Anfang ist.

DOMRADIO.DE: Wie kann man sich jetzt auf diese Katastrophe vorbereiten? Sehen Sie da irgendeine Möglichkeit, unter die Arme zu greifen?

Meyer-Antz: Im Moment müssen wir ganz massiv unbürokratisch umstellen. Vielleicht darf ich an dieser Stelle nochmal aufrufen, an uns zu spenden. Wir machen für Indien jede Menge Mittel der Bundesregierung zugänglich. Aber bei diesen Mitteln ist das nicht so einfach - obwohl es auch möglich ist.

Uns erreichen viele Nachfragen von Partnerorganisationen, die jetzt nicht mehr die geplanten Schulungen, die geplanten Seminare, die geplanten Beratungen machen können und dabei Geld sparen. Sie fragen uns, ob sie dieses Geld zum Beispiel für Lebensmittelhilfe, für Wanderarbeiter, für Tagelöhner einsetzen dürfen. Überall wo das geht, sagen wir ja, weil es für uns absehbar eine Hilfe für zwei bis vier Wochen ist.

Wenn die Hilfe der indischen Regierung angelaufen ist, dann wird diese Art der Hilfe nicht mehr notwendig sein. Zukünftig ist für Indien aber weiter wichtig, dass sich Misereor-Partner  dafür einsetzen, dass die Ärmsten der Armen nicht zu kurz kommen.

Bischöfliches Hilfswerk Misereor

Misereor ist das weltweit größte kirchliche Entwicklungshilfswerk. Es wurde 1958 von den katholischen Bischöfen in Deutschland auf Vorschlag des damaligen Kölner Kardinals Josef Frings als Aktion gegen Hunger und Krankheit in der Welt gegründet.

Der Name bezieht sich auf das im Markus-Evangelium überlieferte Jesuswort "Misereor super turbam" (Ich erbarme mich des Volkes). Sitz des Hilfswerks ist Aachen.

Logo des Bischöflichen Hilfswerks Misereor in einem Schaufenster / © Julia Steinbrecht (KNA)
Logo des Bischöflichen Hilfswerks Misereor in einem Schaufenster / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR