Der Bamberger Erzbischof zur Erinnerung an Auschwitz

"Wir müssen uns auch an das Versagen in den Kirchen erinnern"

Als Vorsitzender des Stiftungsrates der Maximilian-Kolbe-Stiftung ist Bambergs Erzbischof Schick jedes Jahr bei einem Workshop mit Jugendlichen in Auschwitz. Im Interview spricht er über die Bedeutung der KZ-Gedenkstätte und die Verantwortung der Kirche.

Erzbischof Ludwig Schick ist jedes Jahr bei einem Workshop mit jungen Erwachsenen aus ganz Europa in Auschwitz / © N.N. (shutterstock)
Erzbischof Ludwig Schick ist jedes Jahr bei einem Workshop mit jungen Erwachsenen aus ganz Europa in Auschwitz / © N.N. ( shutterstock )

KNA: Herr Erzbischof, Sie sind jedes Jahr in Auschwitz - wie hat sich Ihre Wahrnehmung des Ortes verändert?

Ludwig Schick (Erzbischof von Bamberg, Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, Vorsitzender des Stiftungsrates der Maximilian-Kolbe-Stiftung): Es ist für mich jedes Jahr neu erschreckend und unbegreiflich, wie die Nazis diese Todesmaschinerie in Gang gesetzt und ständig weiterentwickelt haben. Ich erlebe die vielen Menschen aus der ganzen Welt, die die beiden Lager besuchen; ihre Zahl wächst, sie sind betroffen und erschüttert. Auschwitz ist wichtig, denn es darf nicht vergessen werden, was dort geschehen ist. Wir müssen alles dafür tun, dass solche Verbrechen an Menschen und gegen die Menschlichkeit nie wieder begangen werden. Die Gedenkstätte Auschwitz ist mir immer wichtiger geworden.

KNA: Welche Bedeutung hat so eine Gedenkstätte?

Schick: Jede Gedenkstätte ruft etwas in Erinnerung, das zwar vergangen ist, aber nicht abgehakt werden darf, sondern bleibende Bedeutung behalten muss. Das gilt für Auschwitz ganz besonders. Diese Gedenkstätte ruft zur Wachsamkeit. Auschwitz hat eine Vorgeschichte, nämlich den Antisemitismus und Rassismus, den Nationalismus und Faschismus. Diese Tendenzen gibt es auch jetzt wieder. Auschwitz mahnt uns, sich diesen entgegenzustellen, damit nie wieder ein neues Auschwitz errichtet wird.

KNA: Die Erinnerungskultur gerät aber in Deutschland zunehmend politisch unter Beschuss.

Schick: Es gibt Menschen, Gruppen und Parteien, die eine selektive Erinnerungskultur pflegen wollen und ihnen unliebsame Ereignisse der Geschichte unter den Tisch fegen möchten. Das darf nicht sein! Wir müssen die ganze Geschichte vor Augen haben. Die Unmenschlichkeiten von Auschwitz mit Vor- und Nachgeschichte sollen präsent bleiben. Auschwitz und was dort geschehen ist zu leugnen oder auch nur auszublenden, darf nicht zugelassen werden.

KNA: Auschwitz steht vor allem für den Holocaust, aber es sind auch Christen dort gestorben, etwa der mittlerweile heiliggesprochene Maximilian Kolbe. Welche besondere Bedeutung hat das für die Kirchen?

Schick: Maximilian Kolbe, Edith Stein und viele andere Christen sind in Auschwitz umgekommen. Die Nazis vernichteten alle, die gegen ihre Ideologie waren. Vor allem Maximilian Kolbe zeigt uns, dass die Liebe Gottes auch unter schlimmsten Umständen mächtig ist, sie ist unzerstörbar. Auschwitz mahnt, auch unser Tun und Denken von der Liebe Christi leiten zu lassen und nicht menschenverachtenden Ideologien zu verfallen. Aus der Nächstenliebe resultiert die Verpflichtung, sich für die Menschenwürde und die Menschenrechte aller einzusetzen, unabhängig von Nationalität, Religion oder Hautfarbe. Auschwitz ruft auf, allem Unmenschlichen zu wehren, an die Liebe Gottes zu glauben und sie in Taten zu bezeugen.

KNA: Sie haben einmal gesagt: Die deutsch-polnische Versöhnung war und ist ohne Versöhnung in Auschwitz nicht möglich. Warum?

Schick: In Auschwitz sind auch sehr viel polnische Bürgerinnen und Bürger als Zwangsarbeiter ausgebeutet, gequält und getötet worden. Die Nazis wollten Polen und seine Bevölkerung auslöschen. Sie haben außerdem das schlimmste Vernichtungslager auf polnischem Territorium nach dem Überfall 1939 errichtet und über eine Million Menschen dort umgebracht. Wir müssen uns diese Untaten vor Augen halten. Versöhnung zwischen Deutschland und Polen ist nur möglich, wenn wir uns auch in und über Auschwitz versöhnen.

KNA: Welche Herausforderungen ergeben sich für die Kirchen aus dem Geschehen vor 75 Jahren?

Schick: Ganz klar: Einsatz für ganzheitliche Menschenwürde und allumfassende Menschenrechte. Wir müssen uns auch an das Versagen in den Kirchen erinnern; sie sind mitschuldig am Antisemitismus. Die Kirchen müssen mit allen Möglichkeiten und Mitteln gegen jeden Antisemitismus und auch Nationalismus kämpfen. Sie sollen sich für Akzeptanz und Toleranz von allen Religionen und Kulturen einsetzen, den interreligiösen und interkulturellen Dialog fördern, damit Kirchen und Religionsgemeinschaften Akteure des Friedens werden.

Das Interview führte Christian Wölfel.


Erzbischof Ludwig Schick / © Angelika Zinzow (KNA)
Erzbischof Ludwig Schick / © Angelika Zinzow ( KNA )
Quelle:
KNA