Immer mehr Paare in den USA leben ohne Trauschein zusammen

Institution Ehe in Gefahr?

Immer mehr US-Amerikaner meiden den Traualtar und leben unverheiratet zusammen. Die Gründe sind vielfältig. Die gesellschaftliche Akzeptanz für die Partnerschaft ohne kirchlichen Segen steigt - auch unter Katholiken.

Autor/in:
Thomas Spang
Immer weniger US-Amerikaner heiraten. Ist die Ehe in Gefahr?  / © N.N. (shutterstock)
Immer weniger US-Amerikaner heiraten. Ist die Ehe in Gefahr? / © N.N. ( shutterstock )

Der 32-jährige Michael und die 31-jährige Julie kennen sich schon seit der Schulzeit. Während des Studiums zogen sie zusammen. Beide fanden anschließend einen Job in der US-Hauptstadt Washington. Sie gründeten eine Familie und leben jetzt mit ihren beiden Kleinkindern in einer bescheidenen Zwei-Zimmer-Wohnung. Zu heiraten, das stand für die beiden nie zur Debatte.

So wie Michael und Julie lebt laut einer aktuellen Studie des Pew Research Center Washington inzwischen rund ein Drittel der US-Bevölkerung. Ein Trend, der sich rasant ausbreitet: Die Zahl der unverheirateten Paare hat sich innerhalb der vergangenen 20 Jahre fast verdreifacht, von sechs Millionen im Jahr 1996 auf 17 Millionen 2017.

Abkehr aus Ängsten heraus

Die wachsende Abkehr vom Ehebund ist unter anderem den ökonomischen Ängsten vieler US-Amerikaner geschuldet. Eine Zäsur brachte die "große Rezession", die mit dem Platzen der Immobilienblase 2008 begann. Seitdem ziehen es immer mehr Paare vor, das Leben zu zweit ohne offizielles "Ja" anzugehen. Viele verzichteten auf die Ehe, so die Mit-Autorin der Pew-Studie, Juliana Horowitz, "weil sie in ihrer Berufskarriere noch nicht weit genug gekommen sind".

Eine wichtige Rolle spielen auch soziodemografische Veränderungen unter unverheirateten Paaren. Sie sind heute älter, ethnisch gemischter, gebildeter und verdienen mehr. Waren 1996 nur zwei Prozent der unverheirateten Paare 65 Jahre oder älter, sind es heute drei Mal so viele. Hinzu kommt die steigende Zahl der geschiedenen Personen, die in neuen Beziehungen leben.

Verlust an religiösen Bindungen

"Die Menschen halten die Ehe heute für weniger heilig als früher", sagt Stephanie Coontz, Forschungsdirektorin des Council on Contemporary Families. Zudem werde Heiraten bei US-Amerikanern immer häufiger als Risiko gesehen. Das hat vor allem mit den gestiegenen Scheidungszahlen zu tun. Das traditionelle Tabu, dass Paare nicht zusammen leben sollten, wenn sie nicht verheiratet sind, gilt immer weniger, zumal in den urbanen Ballungsräumen. Die "wilde Ehe" ist in den USA längst ein Massenphänomen. Diese Entwicklung geht einher mit einem Verlust an religiösen Bindungen. Womöglich schwingt zuweilen auch die Angst vor Unterhaltsansprüchen im Falle einer Scheidung mit.

Parallel dazu steigt die Akzeptanz unverheirateter Paare - auch unter katholischen Gläubigen. Die sogenannte Kohabitation ist laut Pew-Studie für rund drei Viertel aller US-Katholiken kein Problem, obwohl sie im Gegensatz zur Lehre der Kirche steht. Nur 14 Prozent aller Erwachsenen vertreten demnach die Ansicht, es sei nicht akzeptabel, dass unverheiratete Paare zusammenleben. Ungefähr genauso viele finden das Zusammenleben unter der Voraussetzung in Ordnung, dass es Pläne für eine Hochzeit gibt.

Bostoner Kardinal sieht Gefahr

Schon 2013 hatte es der Bostoner Kardinal Sean O'Malley als Gefahr bezeichnet, dass "der gesamte Begriff der Familie durch den Einstellungswandel zur Kohabitation untergraben wird". Papst Franziskus, der 2014 und 2015 zwei Bischofssynoden zum Wandel und den Bedürfnissen von Familien in den Vatikan berief, mahnt, sich dieser Herausforderung zu stellen - und als Kirche bei Paaren für den Bund fürs Leben zu werben. "Wir müssen ihnen die Schönheit der Ehe bezeugen", so der Papst im vergangenen Jahr.

Die Kirche kann sich dabei auf einen interessanten Befund der Pew-Analyse stützen. Demnach gaben 58 Prozent der Verheirateten zu Protokoll, dass ihre Beziehung "sehr gut läuft", was vor allem mit Ehrlichkeit, Treue und dem verantwortungsvollen Konsumverhalten des Ehepartners zusammenhänge. Unverheiratete gaben dies nur zu 41 Prozent an.

Michael und Julie haben es bislang nicht bereut, ohne Trauschein zusammenzuleben. "Wir leben im Grunde wie jedes andere Ehepaar", sagt Julie. Die einzigen in ihrem Familien- und Bekanntenkreis, die sich an den Umständen störten, seien die Großeltern.

 


Quelle:
KNA