Pariser Basilika Sacre-Coeur vor 100 Jahren geweiht

Wahrzeichen und ungeliebtes Symbol sozialer Spaltung

Die Pariser Basilika Sacre-Coeur ist ein Touristenmagnet - aber auch ein ungeliebtes Symbol gegen die alternative Linke der Stadt. Ihr Bau vertrieb damals nicht nur die Boheme vom Montmartre.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Sacre-Coeur de Montmartre / © Alexander Brüggemann (KNA)
Sacre-Coeur de Montmartre / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Wie ein Fremdkörper wirkt sie im Stadtbild von Paris - eine schneeweiße Sahnetorte über dem Gewirr von Zehntausenden Häusern. Weithin sichtbar auf der "Butte", dem Märtyrer-Hügel in der französischen Hauptstadt, steht die Nationalbasilika Sacre-Coeur, nach Notre-Dame die zweitprominenteste der zahllosen Kirchen von Paris. Der Zuckerbäckerbau des Architekten Paul Abadie (1812-1884) zeugt von einer Zeit großer politischer Spannungen, aber auch von einem letzten großen Zusammenwirken von Staat und Kirche in Frankreich. Vollendet 1914 am Vorabend des Ersten Weltkriegs, wurde Sacre-Coeur vor 100 Jahren, am 16. Oktober 1919, mit Verspätung geweiht.

Der Montmartre ist eine christliche Keimzelle von Paris: jener Hügel, wo der heilige Dionysius, Märtyrerbischof um 250, auf dem Richtplatz sein abgeschlagenes Haupt genommen und damit sechs Kilometer Richtung Norden gegangen sein soll. Wo er sich schließlich niederlegte, erhebt sich heute die gotische Basilika Saint-Denis, Bischofskirche und Grablege französischer Könige. Auf dem Montmartre-Hügel wiederum entstand eine bedeutende Königsabtei der Benediktinerinnen, abgerissen 1794 in der Französischen Revolution; die letzte Äbtissin endete auf dem Schafott.

Erst spät eingemeindet

Erst 1860 wurde der Hügel ins rasant wachsende Paris eingemeindet. Er behielt seinen dörflich-ländlichen Charakter, bis das von Städteplaner Georges-Eugene Haussmann (1809-1891) entfachte Baufieber die Armen von Paris zunehmend an die Stadtränder verdrängte. Die Nordseite des Montmartre mit dem sogenannten Maquis (Gestrüpp), seinen aufgelassenen Höfen, Baracken und Elendsbehausungen wurde Rückzugs- und Wohnort für Diebe, Prostituierte und Kleinkriminelle. Seit den 1880er Jahren siedelten sich auch immer mehr Künstler der sogenannten Boheme hier an, die in Kaschemmen, Bars und Bordellen ihre Motive fanden.

Dieses Klima von Absinth, Armut und Promiskuität barg auch ein starkes sozialrevolutionäres Potenzial. Im März 1871, nach der Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg, entzündete sich der Aufstand der Pariser Kommune gegen die Übergangsregierung just am Montmartre. Rund 30.000 Tote gab es durch Gewalt oder Hinrichtungen. Auch danach blieb das Viertel Sitz der radikalen Linken und revolutionären Gedankengutes.

Der neue Pariser Erzbischof Joseph Hippolyte Guibert verfolgte 1872 die Idee einer nationalen Sühnekirche, geweiht dem "heiligsten Herzen Jesu" - anders übrigens als die etwa zeitgleich gebauten großen Marienbasiliken in Lourdes, Marseille oder Lyon. Der Gedanke einer "christlichen Rückgewinnung" des Märtyrerhügels wurde vom Parlament ausdrücklich befördert. Damals war noch nicht abzusehen, dass 1905 in Frankreich eine strikte Trennung von Staat und Kirche gesetzlich verankert werden würde.

Viertel radikal umgestaltet

Während der Bauzeit der Kirche (1875-1914) wurde das Montmartre-Viertel radikal umgestaltet. Entlang großer Treppen entstanden mondäne Wohnhäuser; in großem Stil wurde durch die bauliche Aufwertung erneut die angestammte Unterschicht vertrieben. Tatsächlich wanderten ab spätestens 1910 auch die Künstler in den Bezirk Montparnasse ab, um dort erschwingliche Mieten und Lebenshaltungskosten zu finden.

Schon vor der Fertigstellung der nationalen "Sühnebasilika" entwickelte sich ein reger Pilgerbetrieb. Die Kunstkritik hingegen äußert sich bis heute abfällig über das Hauptwerk von Paul Abadie, der dem Markusdom von Venedig und andere byzantinischen Kuppelkirchen wie der Hagia Sophia in Istanbul nachzueifern versuchte, dabei jedoch vor allem Monumentalität und eine kühle Atmosphäre erzeugte.

1912 war das Gros der Arbeiten und 1914 schließlich der gesamte Bau fertiggestellt. Die Weihe war bereits für den 17. Oktober 1914 angesetzt, als Ende Juli der Erste Weltkrieg ausbrach. Mit dem französischen Kriegseintritt am 3. August blieb die Nationalbasilika ungeweiht; die Zeremonie wurde fünf Jahre später, am 16. Oktober 1919, vom päpstlichen Legaten, Kurienkardinal Antonio Vico, und dem Pariser Kardinal Leon-Adolphe Amette nachgeholt. Alles was in Frankreichs Kirche Rang und Namen hatte, nahm an der Feier teil.

Stadt um ein Wahrzeichen reicher

Die gesellschaftlichen Spannungen im Land und in der Hauptstadt waren seitdem durchaus noch einmal tiefer geworden. Der "Grande Guerre" hatte große Teile der Bevölkerung in Armut gestürzt. Die Versorgung mit landwirtschaftlichen Gütern war stark ausgedünnt, Witwen und Zehntausende Kriegsversehrte konnten ihre Familien kaum ernähren. Die Umbauung der Pariser Kommunarden aber war allemal gelungen - und die Stadt um ein Wahrzeichen reicher.

Dennoch ist der eigenwillige Bau vielen Parisern bis heute ein Dorn im Auge. Breite Zustimmung fand 2017 ein drastischer Vorschlag für den jährlichen Bürgerwettbewerb zur Stadtverschönerung: eine große Abrissparty. Sacre-Coeur sei eine "Warze von Versailles, die die Erinnerung an die Pariser Kommune beleidigt", so der Antragsteller. Doch Bürgermeisterin Anne Hidalgo ließ mitteilen, ein Abriss sei "nicht zulässig". Die Basilika sei denkmalgeschützt - und auch gar nicht Eigentum der Stadt, sondern der Erzdiözese Paris.


Quelle:
KNA