Die antiisraelische BDS-Bewegung sorgt für Irritationen

Wo endet Israel-Kritik und beginnt Antisemitismus?

Antisemitismus sei nicht Geschichte, sondern "wie andere rassistische Krankheiten" erneut auf dem Vormarsch, sagen Experten. Für manche ganz vorne dabei: die BDS-Bewegung, die unter anderem zum Israel-Boykott aufruft.

Israelische Fahne / © Dan Josephson (shutterstock)

In Berlin rief die antiisraelische BDS-Bewegung kürzlich zum Boykott eines Musikfestivals auf - weil die israelische Botschaft die Veranstaltung unterstützte. Ebenfalls in Berlin trat der Chef des Jüdischen Museums zurück. Zuvor hatte es Kritik daran gegeben, dass das Museum per Internet eine Leseempfehlung für einen Zeitungsartikel über Wissenschaftler gegeben hatte, die einen Bundestagsbeschluss gegen die BDS-Bewegung verurteilten. Israel verweigerte unlängst zwei US-Kongressabgeordneten die Einreise - sie hätten sich für Gesetze zum Israel-Boykott eingesetzt.

Israelkritik sorgt für heftige Debatten

Kritik an Israel im Allgemeinen und die Art und Weise der Kritik im Besonderen sorgen immer wieder für oft heftige Debatten. BDS-Anhänger werfen Israel vor allem ein "Apartheid-Regime" gegen Palästinenser vor. Die Forderungen von BDS - das Kürzel steht für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen - richten sich gegen den Staat. BDS ruft zum Boykott von Waren, Dienstleistungen, Künstlern, Sportlern und Wissenschaftlern aus Israel auf. Der Bundestag hat die Bewegung im Mai mit großer Mehrheit als antisemitisch verurteilt.

Die teils heftige Israel-Kritik kommt nicht nur von BDS und treibt viele Menschen um. Nach den Worten von Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, ist israelbezogener Antisemitismus die am weitesten verbreitete Form von Antisemitismus. Das bestätigten auch Untersuchungen. "Er wird aus meiner Sicht zunehmend präsenter und rauer, auch in den Medien, insbesondere in den Sozialen Medien."

Gemeint sei nicht sachliche Kritik an Handlungen der israelischen Regierung, betont Klein. Problematisch sei vielmehr, "politische Entscheidungen des Staates Israel als jüdisches Handeln zu kritisieren und damit das Land zu dämonisieren und delegitimieren".

"Existenzrecht Israels steht nicht zur Debatte"

Über diese "Umwegkommunikation" würden alle, auch deutsche Juden, mit der Israels Regierung identifiziert und kollektiv für Handlungen des Staates verantwortlich gemacht. "Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Israel, das über ein demokratisches System verfügt, als 'Apartheidstaat' bezeichnet wird, der per definitionem nicht legitim sein kann."

Rabbiner Walter Homolka, Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam, sagte der Zeitschrift "Mitten im Leben" des Herder-Verlags (September), dass sich israelische Regierungen zwar Kritik anhören müssten - wie alle Regierungen weltweit. "Aber das Existenzrecht Israels steht nicht zur Debatte."

Alle könnten sich dafür einsetzen, "dass die einzige Demokratie des Nahen Ostens unsere Maßstäbe spiegelt". Christen und Juden weltweit trügen dazu bei, wenn sie Projekte in Israel unterstützten, "die Brücken bauen, Gegensätze mildern, religiösen Pluralismus fördern".

Harami: Antisemitismus erneut auf dem Vormarsch

Häufig wird gegen Kritik an Israel das Argument der Doppelmoral vorgebracht. Einzig Israel werde für seine Politik kritisiert, "während die wahren Menschenrechtsverletzer in der Region wie Iran oder Syrien ignoriert werden", sagte Ben Moore, Mediensprecher des israelischen Ministeriums für strategische Angelegenheiten, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Ein Vorwurf, den Omar Harami vom Sabeel-Zentrum für palästinensische Befreiungstheologie nur bedingt gelten lässt: Israel selbst setze sich hohe Standards, wenn es etwa wiederholt seine Armee als "die ethischste" und "die moralische" bezeichnet. Antisemitismus und Israel-Kritik bleiben ein hochsensibles Feld, so Harami, der für Sabeel seit rund eineinhalb Jahren an einem Positionspapier zum Thema arbeitet.

Antisemitismus sei nicht Geschichte, sondern "wie andere rassistische Krankheiten" erneut auf dem Vormarsch, "auch in der Arabischen Welt und auch in christlichen Texten". Nicht zwingend aber sei Kritik am Zionismus oder an Israel mit Antisemitismus gleichzusetzen; umgekehrt könne gerade christlicher Zionismus antisemitische Züge tragen, wenn Christen sich für Israel einsetzen, weil sie es "als Werkzeug ihrer Erlösung sehen".

Kann man die Politik Israels durch Boykott verändern?

"Wie jedes andere demokratische Land" begrüße auch Israel "unterschiedliche Standpunkte, solange sie nicht zu Gewalt aufrufen", beschreibt Mediensprecher Moore das Verhältnis des Landes zu Kritik von außen. In der BDS-Bewegung hingegen sieht das Ministerium für strategische Angelegenheiten einen Aufruf zum Boykott des jüdischen Staates und damit eine "neue Manifestierung von Antisemitismus". BDS dämonisiere Israel nicht nur, sondern pflege "enge Verbindungen zu Terrorgruppen wie Hamas und der Palästinensischen Befreiungsfront".

Grundsätzlich antisemitisch sei eine - auch scharfe - Kritik an der Politik Israels nicht, sagte der Historiker und Holocaust-Experte Jehuda Bauer der KNA. Das gelte auch für BDS, insoweit es die Besetzung des Westjordanlandes kritisiere. Die Bewegung propagiere aber "die Mutation des jüdischen Staates in einen 'demokratischen', das heißt arabischen Staat mit jüdischer Minderheit durch Masseneinwanderung der Nachkommen der palästinensischen Flüchtlinge". Dies entspreche der "Abschaffung Israels als das politische Gebilde, das der Ausdruck des jüdischen Volkes zu autochthoner Selbstständigkeit ist"; und damit sei sie als Organisation antisemitisch.

Tatsächlich liege eine Gefahr der Boykottbewegung darin, dass "manche Antisemiten die palästinensische Sache als Plattform nutzen", sagt Omar Harami; "quasi als einen zulässigen Weg, antisemitisch zu sein". Für Jehuda Bauer jedoch stellt sich die Frage grundsätzlicher. Es sei dahingestellt, "ob man die Politik Israels durch Boykott verändern soll (und kann)".

Von Andrea Krogmann und Leticia Witte


Quelle:
KNA