Leiter der deutsch-evangelischen Gemeinde in Hongkong zur politischen Lage

"Hier hat kein Auto gebrannt"

Seit Wochen protestieren Demonstranten in Hongkong gegen den chinesischen Einfluss auf die Sonderverwaltungszone. Wie geht es den Christen in dieser angespannten Situation? Der Leiter der deutsch-evangelischen Gemeinde spricht über seine Beobachtungen.

Demonstranten in Hongkong / © Dave Coulson Photography (shutterstock)
Demonstranten in Hongkong / © Dave Coulson Photography ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Herr Rohde, haben Sie das Gefühl frei reden zu können?

Dr. Roland Rohde (Stellv. Vorsitzender der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Hongkong): Das ist eine gute Frage. Ich kann als Privatperson meine Meinung frei äußern. Wenn ich allerdings in meiner Funktion spreche – ich habe mir neben meinem Posten bei der Gemeinde ja noch einen hauptberuflichen Job – dann muss ich natürlich bestimmte Rücksichten nehmen.

DOMRADIO.DE: Welche Rücksichten sind das?

Rohde: Bei meinem Hauptjob ist es so, dass ich im Auftrag der Bundesregierung die Wirtschaftsberichterstattung mache und keine politische Berichterstattung. Also äußern wir uns auch nicht zu der politischen Lage. Insofern spreche ich jetzt in meiner Eigenschaft als Gemeindemitglied und Vorsitzender der Gemeinde.

DOMRADIO.DE: Es sind ja zugespitzte Bilder, die man zumindest hier in den Medien zu sehen bekommt. Wie dramatisch ist die Lage aus Ihrer Sicht?

Rohde: Ja das ist sehr interessant. Ich bekomme täglich Mails und Anrufe. Alle sind wahnsinnig besorgt, wie es mir und meiner Familie geht. Dazu muss man erstmal sagen, dass die Sicherheitslage hier nach wie vor unbedenklich ist. Ich fühle mich sicher, meine Familie fühlt sich sicher. Die Demonstranten sind gegenüber westlichen Ausländern sehr, sehr höflich. Sie wollen natürlich auch ihre Sache verkaufen.

Die Gewaltbereitschaft unter den Demonstranten ist beschränkt auf einige wenige. Aber auch bei denen ist es so. Das kann man sich nicht so vorstellen, wie bei den Chaostagen in Berlin oder bei den Protesten gegen den G-20-Gipfel. Hier ist die Gewaltbereitschaft wesentlich geringer. Hier hat kein Auto gebrannt, hier sind keine Geschäfte geplündert worden und so weiter.

DOMRADIO.DE: Doch versucht ja China, die Protestbewegung zu kriminalisieren. Es handele sich um Terroristen. Das deckt sich nicht mit Ihren Beobachtungen?

Rohde: Dieses Brandmarken als Terroristen ist ausgelöst worden durch die Besetzung des Flughafens. Der Flughafen musste seinen Betrieb einstellen und das ist natürlich sehr sehr empfindlich für Hongkong weil. Er ist sozusagen eine der ganz wenigen Möglichkeiten überhaupt aus Hongkong rauszukommen. Der Flughafen ist ein ganz neuralgischer Punkt und deswegen haben die Hongkonger Regierung und Peking doch sehr, sehr sensibel darauf reagiert.

DOMRADIO.DE: Gut zehn Prozent der Bevölkerung in Hongkong sind Christen. Welche Rolle spielen die christlichen Kirchen in diesem Machtspiel? Drohen sie, innerhalb dieses Konfliktes zerrieben zu werden?

Rohde: Ich habe von den christlichen Gemeinden jetzt noch nicht so sehr viel gehört. Wir als evangelische deutsch-christliche Gemeinde sind Gäste im Land. Wir beobachten die Situation, wir diskutieren die Situation. Aber wie gesagt wir sind: Wir sind mehr oder weniger Gäste und schauen zu.

DOMRADIO.DE: In China ist die Verfolgung von Christen ja leider an der Tagesordnung. Befürchten Sie dass dies auch in Hongkong drohen könnte, wenn der chinesische Einfluss wächst?

Rohde: Ich würde sagen, das droht im Moment noch nicht. Es ist ja nicht so, dass das Peking Hongkong in großem Ausmaß irgendwelche Autonomie wegnehmen will. Die ist von Peking ja auch bis 2047 garantiert. Wir haben nach wie vor eine sehr, sehr freie Presse. Wir haben freie Meinungsäußerung im weitesten Sinne. Da sehe ich im Moment noch keine große Gefahr.

DOMRADIO.DE: Und doch zieht China Truppen an der Grenze zu Hongkong zusammen. Befürchten Sie, dass es letztlich zu einer blutigen Niederschlagung der Proteste kommen wird?

Rohde: Ich würde sagen, da sind wir jetzt noch ganz, ganz weit von entfernt. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass Peking direkt eingreift. Denn Peking ist sich doch sehr, sehr bewusst, dass das ein enormer Imageschaden wäre für China und dass auch der Wirtschaftsstandort Hongkong extrem darunter leiden würde. Die Eskalationsspirale müsste sich noch wesentlich weiter drehen, bevor Peking hier wirklich offen interveniert. Dann ist auch immer noch die Frage in welcher Form.

Das Interview führte Moritz Dege. 


Quelle:
DR