Warum europäische Bischöfe Wähler via Brief "wecken" wollen

"Kämpft für den Frieden!"

Kurz vor der Europawahl wenden sich einige europäische Bischöfe via Brief direkt an die Wähler. Darin fordern sie auf, für den Frieden zu kämpfen. Es soll ein Weckruf sein, erklärt Luxemburgs Erzbischof Jean-Claude Hollerich im Interview.

Jean-Claude Hollerich / © Julia Steinbrecht (KNA)
Jean-Claude Hollerich / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Vor der Wahl wenden sich die Bischöfe der Euregio, der Geburtsregion Europas, in einem Brief an die Wähler Europas und das mit durchaus drastischen Worten. "Das Schicksal Europas liegt in unseren Händen." Sie zeichnen ein relativ düsteres Bild der Europäischen Union. Ich zitiere mal: "Europa zu verleugnen, wäre nicht nur Selbstmord, sondern die schreckliche Verantwortung, ein 2.000 Jahre altes Erbe aufzugeben." Steht es denn wirklich so schlecht um uns?

Jean-Claude Hollerich (Erzbischof von Luxemburg): Wenn wir uns den Brexit anschauen, wenn wir darauf schauen, dass es in vielen Ländern Parteien gibt, die alle Schuld der heutigen Probleme der EU geben, dann steht es schlecht um die EU. Das heißt, das ist ein Weckruf an die Bürger und an die Christen Europas: "Kämpft für den Frieden!"

DOMRADIO.DE: Ein großes Thema der Wahl ist die Frage der Migration. Diese Frage führt zu vielen Spannungen innerhalb Europas. Es gibt Länder im Osten, die mehr Vorbehalte als Länder im Westen haben. Sie als Euregio-Bischöfe, also im Groben der Region Westdeutschland, Frankreich, Belgien, Niederlande, sprechen sich für die Unterstützung und Aufnahme von Migranten aus. Was denken Sie: Was würden denn Ihre Bischofs-Kollegen aus Polen oder Ungarn dazu sagen?

Hollerich: Die Bischöfe aus Polen oder Ungarn haben Angst vor islamischer Migration, was man aufgrund der Geschichte der Länder verstehen kann. Aber das darf uns nicht davon abhalten, das zu tun, wozu unser Gewissen und das Evangelium uns verpflichten – nämlich die Leute, die in Not sind, aufzunehmen. Der Papst sagt auch, dass wir für Europa eintreten sollen, auch durch den konkreten Dienst an den Leuten, die wirklich Hilfe brauchen.

DOMRADIO.DE: Sie hatten den Brexit angesprochen. Nicht nur in Großbritannien werden die Stimmen lauter, die stärkere nationale Identitäten fordern. Sie als Bischöfe sagen: Lassen Sie uns den anderen Weg gehen. Europa braucht mehr Dialog. Denn dieser größere Dialog, der stärke die europäischen Identitäten. Warum gehen Sie dann in die andere Richtung?

Hollerich: Ich bin auch für nationale Identitäten. Ich bin Europäer, weil ich Luxemburger bin. Identitäten sind heute wichtig. Aber Identitäten kann man nicht gegeneinander ausspielen. Dann sind wir wieder im alten Spiel der Nationalismen, die zu Krieg geführt haben. Das können wir nicht wollen. Es gibt eine klare europäische Identität, durch die Musik, durch die Geschichte und auch durch das Christentum, das doch auch Europa in den Jahrhunderten geprägt hat.

DOMRADIO.DE: Jetzt sprechen wir mit Ihnen nicht als Politiker, sondern als Erzbischof von Luxemburg, als Bischof. Welche Rolle spielt vor der Wahl denn der Glaube und auf der anderen Seite die christliche Identität?

Hollerich: Ich glaube, dass wir Christen ein klareres Wort zu der christliche Identität haben müssen. Wir waren manchmal etwas zu bescheiden, über die christliche Identität Europas zu sprechen. Wenn wir die Europäische Union verteidigen, heißt das ja nicht, dass wir mit allen Punkten in der Politik einverstanden sind. Zum Beispiel geht es uns in unserer Erklärung auch um den Respekt vor dem menschlichen Leben. Da haben sich die europäischen Länder, denen eine nationale Politik wichtiger ist als die EU, vom christlichen Glauben und einer christlichen Moral abgewendet. Und das bekommt Europa nicht gut.

DOMRADIO.DE: Es ist ein relativ düsteres Bild von Europa, das Sie da zeichnen. Was macht Ihnen Hoffnung für Europa?

Hollerich: Ich habe viel Hoffnung. Erstens: Mir machen die Jugendlichen Hoffnung, die freitags für das Klima demonstrieren. Man kann jetzt konkret dazu stehen, wie man möchte. Aber es zeigt, dass den Jugendlichen die Welt, in der sie leben, nicht egal ist, dass sie nicht auf das rein private Vergnügen hin ausgerichtet sind. Das sind für mich Zeichen der Hoffnung. Es sind auch Zeichen der Hoffnung, dass es innerhalb unserer Kirche Erneuerung gibt. Es wird etwa mehr gebetet und ich sehe auch, dass Menschen konkret für ihre Mitmenschen eintreten. Ich sehe mehr Punkte der Hoffnung als des Zerbrechens in Europa.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR