Vatikanexperte über Skurrilitäten rund um das leere Grab Jesu

"Kampf" um jeden Zentimeter Grabeskirche

Die Auferstehung Jesu von den Toten ist der Kern des christlichen Glaubens. Allerdings gibt es viele offene Fragen rund um die historischen Gegebenheiten. Der Theologe und Vatikanexperte Ulrich Nersinger mit einem Antwortversuch.

Symbolische Grablegung Jesu in der Grabeskirche / © Andrea Krogmann (KNA)
Symbolische Grablegung Jesu in der Grabeskirche / © Andrea Krogmann ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie sicher können wir heute sein, dass die Grabeskirche tatsächlich der Ort der Auferstehung ist?

Ulrich Nersinger (Theologe und Vatikanexperte): Wir werden eigentlich immer sicherer. Bis vor wenigen Jahren konnten wir die archäologischen Funde und die Untersuchungen in die Kreuzfahrerzeit hinein verfolgen. Aber mittlerweile haben neue Forschungen ergeben, dass wir bis in die Zeit Kaiser Konstantins, also bis in die Anfänge des vierten Jahrhunderts, zurückgehen können und ganz neue Forschungen meinen sogar, dass wir noch weiter in die Vergangenheit einen Weg einschlagen können.

DOMRADIO.DE: Dieser ganz besondere Ort, über dem heute die Grabeskirche steht, wird von nicht weniger als gleich sechs christlichen Konfessionen betreut. Das müssen Sie mal erklären.

Nersinger: Die Kirche hat sich im Laufe der Zeit in verschiedene Konfessionen aufgeteilt. Es waren immer die einzelnen Kirchenvertreter, die einzelnen Patriarchate, immer im Heiligen Land präsent und sie haben natürlich mit einer gewissen Eifersucht versucht, ihren Einfluss und ihr Heiliges Land zu verteidigen und auch ihren Gläubigen zugänglich zu machen.

DOMRADIO.DE: Vielleicht sagen Sie noch mal: Was für Konfessionen sind das überhaupt?

Nersinger: Wir haben die lateinische, also unsere Konfession, dann haben wir die ganz große Schar der orientalischen Glaubensgemeinschaften, die zum Christentum gehören, und natürlich auch die evangelische Kirche, später dann als die Reformation kam. Alle sind im Heiligen Land präsent und sind auch beim Grab präsent. Da gibt es große Eifersucht und man kann von regelrechten Kämpfen sprechen. Wir wissen aus den Dokumenten, dass es zu Schlägereien kam und auch noch heute kommt. Man verteidigt eigentlich jeden Meter oder sogar jeden Zentimeter der Grabeskirche für die eigene Konfession.

DOMRADIO.DE: Da sind wirklich handfeste Konflikte vorprogrammiert. Dazu ist es auch immer wieder gekommen, haben Sie gerade gesagt. Außerdem steht da eine Leiter an der Außenseite der Grabeskirche. Das ist ein Symbol für den Streit. Niemand darf sie entfernen. Können Sie uns das auch noch mal erklären?

Nersinger: Das ist halt so, dass alles, was dort in der Grabeskirche geschieht, genauestens geregelt ist und jede Veränderung, sei es die kleinste, ist natürlich eine Sache, die Emotionen hervorbringt. Und daher ist es halt so, dass diese Leiter, von der eigentlich niemand weiß, wer sie dort angelehnt hat, dann auch wieder zu einem Symbol der Eifersüchteleien innerhalb der christlichen Kirche wird.

DOMRADIO.DE: Kann man denn sagen, dass die christlichen Konfessionen ihre, nennen wir das mal Eifersüchteleien, ein bisschen in den Griff gekriegt haben, in den vergangenen Jahren?

Nersinger: Manchmal glaubt man, dass sie ihren Streit im Griff haben. Aber dann kommt doch wieder eine Nachricht, dass es zu einem handfesten, ich betonte handfesten, Streit gekommen ist. Aber ich denke, das gilt nicht nur für die Konfessionen.

Ich weiß, dass auch die Christen einer Konfession mit großem Interesse auf dieses Gebäude, auf diesen Ort schauen und dort mit ihren Leuten präsent sein wollen: Das ist das Patriarchat, das möchte präsent sein. Das ist die Kustodie des Heiligen Landes, die von den Franziskanern betreut wird. Da ist auch innerhalb der katholischen Kirche oder innerhalb der anderen Konfessionen etwas da, was man doch festhalten möchte, was man unbedingt, nicht nur für die eigene Konfession, sondern auch für die eigene Richtung, für den eigenen Orden oder für das Bistum, unbedingt sichern möchte.

DOMRADIO.DE: Schauen wir mal auf den Vatikan: Auch dort ist es ja so, dass sich der Petersdom über dem Petrusgrab erhebt, wobei auch dessen Lage immer wieder Streit von Wissenschaftlern und Theologen war und ist. Wie wichtig war und ist für den Vatikan denn das leere Grab?

Nersinger: Natürlich ist auch für den Vatikan das leere Grab, das Grab Christi, sehr wichtig, weil das Grab ja ein Symbol ist. Es ist das Symbol, dass unser ganzes Leben nicht mit dem Tod endet, sondern, dass das Grab so eine Zwischenstation oder um es mal salopp zu sagen ein Umsteigebahnhof ist. Und das gilt ja für jedes Grab, auch das Grab eines normalen Sterblichen. Aber beim Grab Jesu ist es halt wichtig, dass es leer ist, weil die Auferstehung ja, wie Sie schon sagten, der Kern unseres Glaubens ist.

Aber beim Grab von Sankt Peter muss etwas drin sein. Da gibt es so einen kleinen Unterschied. Und von daher ist natürlich das Grab des Heiligen Petrus in Rom für den Vatikan vielleicht sogar etwas wichtiger. Also das Grab in Jerusalem ist natürlich wichtig. Das merken wir auch, weil der Vatikan immer dort vertreten war, sei es durch die Orden, sei es durch das Patriarchat oder sei es auch durch einen Orden des päpstlichen Rechts, den Ritterorden vom Heiligen Grab zum Beispiel. Das ist schon wichtig.

Aber es gibt doch einen kleinen Unterschied zwischen dem Grab Christi und dem Grab des Heiligen Petrus. Und vielleicht ist das Grab des Heiligen Petrus doch für den Vatikan letztendlich etwas wichtiger, weil es natürlich auch etwas Handfestes ist. Unser Glaube besteht ja nicht nur aus aus Vernunft und aus dem Glauben heraus, sondern da ist ja noch etwas. Wir brauchen für den Glauben auch Handfestes, der Glaube ist auch etwas Handfestes. Und von daher sind Gräber wichtig. Ob sie nun leer sind oder ob sich in ihnen eine Person befindet.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Vatikanexperte Ulrich Nersinger (EWTN)
Vatikanexperte Ulrich Nersinger / ( EWTN )

Grabeskirche in Jerusalem (epd)
Grabeskirche in Jerusalem / ( epd )

Pilger in der Grabeskirche / © Andrea Krogmann (KNA)
Pilger in der Grabeskirche / © Andrea Krogmann ( KNA )

Petersdom und Petersplatz / © Julia Steinbrecht (KNA)
Petersdom und Petersplatz / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR