Kardinal Gregorio Rosa Chavez über El Salvador und Oscar Romero

"Dieses Land gehört uns allen"

Kardinal Gregorio Rosa Chavez gehört zu den profiliertesten Stimmen der katholischen Kirche in El Salvador. Im Interview spricht er über den salvadorianischen Nationalhelden Oscar Romero und über seine Hoffnung auf Frieden in El Salvador.

Kardinal Rosa Chávez vor einem Bild Óscar Romeros / © Matthias Hoch (Adveniat)
Kardinal Rosa Chávez vor einem Bild Óscar Romeros / © Matthias Hoch ( Adveniat )

KNA: Herr Kardinal, Ihr Heimatland stehe in Flammen, haben Sie gesagt. Warum ist das so?

Kardinal Gregorio Rosa Chavez (Weihbischof von San Salvador): Das hat unter anderem zu tun mit einer extremen Armut, mit Gewalt und Ungerechtigkeit.

KNA: Was muss sich ändern?

Rosa Chavez: Man muss zuerst den Brand löschen. Das bedeutet, die Gewalt, die uns als Land, als Familie und als Menschen zerstört, mit Dialog zu überwinden. Als Nächstes muss man den Opfern helfen, die Menschen müssen aus der Armut herauskommen, sie müssen arbeiten und studieren können, damit sie wieder ins Leben zurückfinden. Schließlich gilt es, die strukturellen Ursachen für die Probleme in El Salvador anzugehen.

KNA: Das Erbe des Bürgerkrieges, der zwischen 1980 und 1992 rund 75.000 Menschen das Leben kostete, scheint immer noch spürbar.

Rosa Chavez: Der Krieg hat uns einen Friedensprozess hinterlassen, mit neuen Institutionen. Wir lernen noch, mit dieser neuen Wirklichkeit zu leben.

KNA: Das heißt?

Rosa Chavez: Wir müssen uns um diese Institutionen kümmern, die es uns ermöglichen, die Probleme friedlich zu lösen, wenn wir nicht in einen neuen Krieg versinken wollen. Es mag Spannungen geben, Konflikte, aber wenn wir es schaffen, uns auf gemeinsame Ziele zu verständigen, werden sich die Dinge ändern. Dazu müssen alle beitragen: die Kirche, der Staat und die Menschen vor Ort. Damit wir zusammen von einem Land träumen können, so wie es Gott sich vorgestellt hat: ein Land, in dem Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und Friede herrschen.

KNA: Anfang Februar hat El Salvador den 37-Jährigen Nayib Bukele zum Präsidenten gewählt. Noch ist wenig bekannt über sein Programm.

Rosa Chavez: Von seiner Politik wird viel abhängen. Übrigens auch, ob die soziale Arbeit der Kirche Ergebnisse bringt. Aber davon unabhängig müssen wir gemeinsam an einem Strang ziehen. Dieses Land gehört uns allen.

KNA: Trotzdem verlassen täglich Frauen, Männer und Kinder El Salvador, weil sie hier keine Perspektive mehr für sich sehen. Zuletzt sorgten die Migrantenkarawanen, die aus Mittelamerika Richtung USA zogen, weltweit für Schlagzeilen.

Rosa Chavez: Ich habe vor einigen Monaten einen deutschen Journalisten getroffen, der einen dieser Flüchtlingszüge begleitet hat. Er sprach davon, wie sehr ihn der Glaube, die Kampfkraft und die Hoffnung der Menschen überrascht haben. Die Salvadorianer sind ein Volk, das sich aufmacht, das Risiken eingeht, das sogar bereit ist zu sterben, um etwas Besseres für sich zu erreichen.

KNA: Aber wie lange kann ein Land einen solchen Massenexodus verkraften?

Rosa Chavez: Die Migrantenkarawane hat uns noch einmal die Augen geöffnet und der Welt unsere Nöte offenbart. El Salvador bietet seinen Söhnen und Töchtern keine Sicherheit, Frieden, Entwicklung, Arbeit oder Chancen. Das zwingt uns dazu, einen Wandel von der Wurzel her einzuleiten.

KNA: Viele Staaten Lateinamerikas stecken derzeit in einer Krise - unterdessen treibt US-Präsident Donald Trump seine Pläne zum Bau einer Mauer voran, die Migranten daran hindern soll, die Grenze zwischen Mexiko und den USA zu überqueren. Was empfinden Sie angesichts dieser Entwicklung?

Rosa Chavez: Die Zeiten sind sehr schlecht für Lateinamerika, wir erleben eine schwierige Phase. Es schmerzt vor allem, wie sehr die einfachen Menschen unter den Folgen leiden. Papst Franziskus hat zu den Jugendlichen beim Weltjugendtag in Panama noch einmal gesagt: Baut keine Mauern, sondern Brücken.

KNA: Trumps Mauer löst die Probleme nicht...

Rosa Chavez: Es gibt auch Mauern in Lateinamerika, politische, wirtschaftliche, soziale und ideologische. Die müssen wir einreißen und Brücken der Brüderlichkeit bauen.

KNA: Wie bewerten Sie Deutschlands Rolle in El Salvador auf politischer Ebene?

Rosa Chavez: Deutschland war sehr wichtig für uns auf dem Weg zum Friedensprozess.

KNA: Und heute?

Rosa Chavez: Wir brauchen Deutschland auf diplomatischer Ebene und auf Ebene der Entwicklungszusammenarbeit, damit unser Traum von einer anderen Zukunft Wirklichkeit werden kann.

KNA: Sie haben maßgeblich am Heiligsprechungsprozess für den früheren Erzbischof von San Salvador, Oscar Romero, mitgewirkt. Er wurde 1980, zu Beginn des Bürgerkriegs, auf Betreiben der Militärjunta ermordet. Was bedeutet Ihnen dieser Mann?

Rosa Chavez: Romero ist eine sehr umstrittene Figur gewesen. Ein Prophet, der im eigenen Land kaum Gehör fand - genau wie Jesus. Jetzt, nachdem Papst Franziskus ihn im vergangenen Herbst heiliggesprochen hat, entdecken wir erst, was für ein Mensch er war. Er hat sein Leben für das Volk gegeben um der Liebe Gottes willen. Und er ist der Mann, der uns als Land einen wird.

KNA: Wie soll das gehen?

Rosa Chavez: Man kann diesen Prozess bereits spüren. Romero hatte so viele Feinde, die jetzt an seinem Grab und am Ort seines Martyriums um Vergebung bitten, die zugeben, dass sie sich geirrt haben. Ich glaube, dass dadurch eine Wiederannäherung der salvadorianischen Familie möglich wird. Romero ist unsere Hoffnung.

KNA: Trotzdem - über 25 Jahre nach Ende des Bürgerkriegs liegt in El Salvador immer noch vieles im Argen. Überwiegt da nicht eher Verzweiflung?

Rosa Chavez: Das Volk in diesem Land ist bewundernswert. Es ist ein Volk mit einem tiefen Glauben, das niemals die Hoffnung verliert.

Das Interview führte Joachim Heinz.


Das Grab von Bischof Óscar Romero in der Kathedrale von San Salvador / © Matthias Hoch (Adveniat)
Das Grab von Bischof Óscar Romero in der Kathedrale von San Salvador / © Matthias Hoch ( Adveniat )
Quelle:
KNA